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Fristen bei Kündigungen

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne (ordnungsgemäße) Beteiligung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist unwirksam. Die Frist zur Stellungnahme ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit den §§ 187 ff. BGB zu schließen. Hinsichtlich der Berechnung der Wochenfrist ist auf den Zugang der Anhörung bei der zuständigen SBV in entsprechender Anwendung des § 130 BGB abzustellen.

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 30. März 2022; 11 Sa 786/21

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der mit einem GdB von 40 behinderte, den schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger war bei der beklagten Stadt seit 2019 als Wächter beschäftigt. Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 23. April 2020 unter anderem die Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) zur beabsichtigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers in der Probezeit an. Die an die GSBV gerichtete Anhörung ging am Donnerstag, den 30. April 2020, gegen 16:05 Uhr per Telefax (Papierfax) im Büro des Gremiums ein. Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung zur gleitenden Arbeitszeit (DV GLAZ). In dieser ist unter anderem eine Kernarbeitszeit für die Wochentage Montag bis Donnerstag zwischen 9:00 Uhr und 12:00 Uhr und von 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr und freitags von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr festgelegt. In der Kernarbeitszeit besteht Anwesenheitspflicht. Dienststunden für Beschäftigte nach TVöD sind gemäß § 7 DV GLAZ donnerstags bis 16:25 Uhr und für Beamte bis 16:45 Uhr vorgesehen.

„Maßgeblich für den fristgerechten Zugang sei darauf abzustellen, wann sich der Empfänger Kenntnis vom Inhalt der Erklärung verschaffen konnte.“

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mit der Berufung beruft sich der Kläger unter anderem auf die nicht fristgerechte Anhörung des GSBV.  Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen und hält die Anhörung für fristgerecht. Es führt aus, eine schriftliche Erklärung per Fax sei grundsätzlich mit Abschluss des Druckvorgangs am Empfangsgerät in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Maßgeblich für den fristgerechten Zugang sei darauf abzustellen, wann sich der Empfänger Kenntnis vom Inhalt der Erklärung verschaffen konnte. Hierbei seien im öffentlichen Dienst die üblichen Dienstzeiten der Behörde zu beachten. Das Telefax sei der GSBV auch unter Berücksichtigung von Feiertag und Wochenende nicht erst am 4. Mai 2020 zugegangen. Für die Mitglieder der GSBV gelte eine Dienstpflicht, die der Arbeitspflicht der übrigen Beschäftigten entspreche. Die Anwesenheitszeiten nach der Dienstvereinbarung unterschieden nicht danach, ob Beschäftigte der GSBV angehören. Nach den normalen Verhältnissen des Geschäftsverkehrs einer Behörde sei die Möglichkeit einer Kenntnisnahme nicht auf die Kernarbeitszeit beschränkt. Vielmehr sei davon auszugehen, dass Beschäftigte von einer rechtlich relevanten Erklärung üblicherweise im Rahmen der Dienstzeiten Kenntnis nehmen können.

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