
Kostenübernahme für Arbeitsassistenz bei Stundenreduzierung während der Elternzeit
Eine Arbeitnehmerin mit Schwerbehinderung klagte gegen die Entscheidung des zuständigen Integrationsamts, die Kosten für die notwendige Arbeitsassistenz während ihrer Elternteilzeit nicht zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht Mainz hat der Klägerin jetzt recht gegeben.
I. VG Mainz vom 10. Oktober 2024, Az. 1 K 140/24.MZ – juris
Worum ging es?
Die schwerbehinderte Klägerin ist mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden unbefristet bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Sie ist dabei auf eine Arbeitsassistenz angewiesen. Für die daraus entstehenden Kosten erhielt sie Leistungen des Integrationsamts gem. § 185 Abs. 5 SGB IX. Im Rahmen der Elternzeit reduzierte sie dann ihren Stundenumfang – elternzeitbedingt – für einen gewissen Zeitraum auf zehn Wochenstunden, eine Änderung der vertraglichen Arbeitszeit (20 Stunden) erfolgte nicht. Das Integrationsamt lehnte in diesem Zeitraum die Bewilligung einer Arbeitsassistenz ab, da ein förderfähiges Beschäftigungsverhältnis nach § 185 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erst bei einer Teilzeitbeschäftigung ab 15 Stunden pro Woche bestehe. Gegen diese Entscheidung des Integrationsamts klagte die Arbeitnehmerin.
"Bei einer elternzeitbedingten Reduzierung der Wochenarbeitszeit ist weiterhin die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit – in diesem Fall 20 Stunden – zugrunde zu legen."
Urteil und Begründung des Gerichts
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Integrationsamt habe auch für die Zeit, in der die Klägerin ihre Arbeitszeit im Rahmen ihrer Elternteilzeit reduziert hat, die Kosten für die Arbeitsassistenz zu erstatten. Zwar sei Voraussetzung für eine Leistung der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben nach § 185 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, dass die begleitende Hilfe für einen Arbeitsplatz beansprucht werde, auf dem der schwerbehinderte Mensch in einem Umfang von mindestens 15 Stunden (in Inklusionsbetrieben mindestens zwölf Stunden) wöchentlich beschäftigt werde. Bei einer elternzeitbedingten Reduzierung der Wochenarbeitszeit sei aber weiterhin die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit – in diesem Fall 20 Stunden – zugrunde zu legen. Die gesetzliche 15-Stunden-Grenze werde dadurch nicht missachtet, stellte das Gericht klar. Diese solle sicherstellen, dass der Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung über eine gewisse (Rest-)Erwerbsfähigkeit verfüge, was hier der Fall sei, da das Arbeitsverhältnis lediglich (teilweise) ruhe und nach dem Ende der Eltern(teil)zeit die ursprüngliche Arbeitsverpflichtung ohne Weiteres wieder auflebe.
Die Kosten für die Arbeitsassistenz während der Elternteilzeit nicht zu übernehmen würde vielmehr zu einer Benachteiligung der Menschen mit Schwerbehinderung im Wettbewerb mit nicht behinderten Arbeitnehmern führen.
Nicht behinderten Menschen stehe es frei zu entscheiden, wie sie ihre Arbeitskraft einsetzen. Im Zuge dessen und unter Berücksichtigung des speziellen Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie des Art. 27 UN-BRK müsse es schwerbehinderten Menschen ebenso ermöglicht werden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexibel zu gestalten. Dem schwerbehinderten Beschäftigten müsse es – wie einem Nichtbehinderten auch – überlassen bleiben, das ihm zustehende Wahlrecht, während der Elternzeit mit abgesenktem Stundenumfang berufstätig zu sein, ausüben zu können, etwa um – auch im Vergleich zu einem nicht behinderten Beschäftigten – den Anschluss im jeweiligen Berufsfeld nicht zu verlieren. Daher müsse der Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz während der Elternzeit bestehen bleiben, auch wenn dadurch zeitweise die tatsächliche Wochenarbeitszeit unter 15 Stunden liege. Ansonsten käme es zu einer „doppelten“ Diskriminierung des schwerbehinderten Menschen – einerseits als Elternteil, andererseits als schwerbehinderte Person.
Was bedeutet das Urteil für Bewerber?
Das Urteil des Verwaltungsgerichts stärkt die Rechte der Menschen mit Schwerbehinderung. Auch sie müssen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeit flexibel an aktuelle Lebensphasen anpassen zu können. Wenn für die Berufsausübung die Hilfe einer Arbeitsassistenz notwendig ist, muss diese auch bei einer vorübergehenden Stundenreduzierung im Rahmen der Elternzeit vom Integrationsamt bewilligt werden. Denn: Der aufgrund von Eltern(teil)zeit ruhende Teil eines Arbeitsverhältnisses wird im Rahmen der gesetzlichen Mindestbeschäftigung von 15 Stunden hinsichtlich eines Anspruchs auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz mitgezählt.
Rechtsgrundlage
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Art. 27 UN-BRK
Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften […]
§ 185 Abs. 2 Satz 3 SGB IX
Die begleitende Hilfe im Arbeitsleben wird in enger Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit und den übrigen Rehabilitationsträgern durchgeführt. Sie soll dahingehend wirken, dass die schwerbehinderten Menschen in ihrer sozialen Stellung nicht absinken, auf Arbeitsplätzen beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können sowie durch Leistungen der Rehabilitationsträger und Maßnahmen der Arbeitgeber befähigt werden, sich am Arbeitsplatz und im Wettbewerb mit nichtbehinderten Menschen zu behaupten. Dabei gelten als Arbeitsplätze auch Stellen, auf denen Beschäftigte befristet oder als Teilzeitbeschäftigte in einem Umfang von mindestens 15 Stunden, in Inklusionsbetrieben mindestens zwölf Stunden wöchentlich beschäftigt werden.
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