Nahaufnahme einer goldenen Heiligenschein-Plastik, die von zwei Händen ertastet wird.

„Der spontane Besuch soll für alle Menschen möglich sein“

Dr. Anne Segbers ist wissenschaftliche Referentin für Bildung und Vermittlung beim LVR-Landesmuseum Bonn und für das Thema Inklusion zuständig. Sie sagt, dass ein inklusives Freizeitangebot für die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung enorm wichtig ist. Im Interview berichtet sie über die Herausforderungen der inklusiven Museumsarbeit und darüber, ob ein Museum für alle möglich ist.

Zur Person

Dr. Anne Segbers ist seit 2018 als Referentin für Bildung und Vermittlung im Landesmuseum Bonn tätig. Studiert hat sie Klassische Archäologie. Während ihres wissenschaftlichen Volontariats, ebenfalls am Landesmuseum, absolvierte sie zahlreiche Fortbildungen zum Thema Inklusion in der Kulturarbeit, zum Beispiel zum barrierefreien Ausstellungsdesign, aber auch zum Übersetzen in Leichte Sprache oder Sprachkurse in Deutscher Gebärdensprache.

Das LVR-Landesmuseum Bonn gestaltet zurzeit seine Dauerausstellung um und legt dabei großen Wert auf Barrierearmut. Wie sind Sie das Thema angegangen?

Grundsätzlich gibt es im Museum zwei Bereiche: die Ausstellung an sich und die zusätzlichen Angebote wie Führungen oder Workshops. In beiden Bereichen ist uns Barrierearmut wichtig. Unser Anspruch – auch als LVR-Museum – ist es, dass unsere Ausstellung so barrierearm wie möglich gestaltet ist, damit so viele Menschen wie möglich die Ausstellung besuchen können – ob mit oder ohne Behinderung. Unser Ziel bei der Neugestaltung war es, dass Menschen mit Behinderung auch spontan zu uns kommen können, ohne sich lange im Vorfeld anmelden zu müssen oder nur spezielle Führungen nutzen können. Wir wollen den individuellen Besuch jederzeit möglich machen.

Welche konkreten Maßnahmen wurden ergriffen, um dieses Ziel zu erreichen?

Die größte Umbaumaßnahme ist unser neuer Aufzug, der jetzt parallel zur Treppe verläuft, sodass man in den Etagen an derselben Stelle ankommt wie Besucher, die die Treppe benutzen, und nicht irgendwo an einer ganz anderen Stelle. Dann haben wir ein taktiles Leitsystem durch die ganze Dauerausstellung verlegt. Wir haben bei der Beschriftung darauf geachtet, dass Kontraste eingehalten werden, dass Texte in gut lesbaren Schriftgrößen und Schriftarten verfasst sind, dass Vitrinen nicht zu hoch angebracht sind, sodass man sich auch aus dem Rollstuhl heraus alle Exponate gut anschauen kann. Es gibt einen Media-Guide mit Gebärdensprachenvideos und gerade produzieren wir auch noch eine Audioversion für blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderung mit Wegbeschreibungen, Atmosphärenbeschreibungen und auch mit Tastbeschreibungen von einigen Exponaten, die man auch anfassen kann. Dazu gibt es Beschreibungen in Leichter Sprache sowie Begleithefte und digitale Angebote in Leichter Sprache. Und ganz aktuell erarbeiten wir zusammen mit Menschen aus dem Autismusspektrum autismusgerechte Angebote.

Was wäre das zum Beispiel?

Wir bieten jetzt stille Stunden im Museum an. Zu diesen Zeiten sind dann keine großen Besuchergruppen im Museum erlaubt, es gibt Ruheräume und überall sind die Ausgänge noch mal deutlich ausgeschildert. So können sich die Autisten bei Reizüberflutung jederzeit aus der Situation hinausbegeben. Für unsere aktuelle Mitmachausstellung über Musik wird gerade eine sogenannte Sensory-Map erstellt. Das ist ein Museumsplan, auf dem erkennbar ist, an welchen Stellen es welche akustischen oder visuellen Reize gibt. Dann können diese gezielt gemieden oder bewusst aufgesucht werden.

Was sind die Herausforderungen in der inklusiven Museumsarbeit?

Die größte Herausforderung ist die inhaltliche Barrierefreiheit, um die Inhalte des Museums für alle Menschen – egal mit welcher Einschränkung – erlebbar zu machen. Ein Museum ist ein sehr visueller Ort, viele Exponate können auch nur hinter Glas angeschaut werden, weil sie sehr empfindlich sind. Das ist vor allem bei seheingeschränkten oder blinden Menschen eine große Barriere. Oder auch die Komplexität der Themen, die ein Museum behandelt. Da wird oft seitens des Museums viel Allgemeinwissen bei den Besuchern vorausgesetzt, das nicht bei allen Besuchergruppen vorhanden ist. Wir haben uns dann dazu entschieden, diese Barrieren über sogenannte inklusive Panels in der Ausstellung zu minimieren. Über 30 solcher Stationen sind über die gesamte Ausstellung verteilt, an denen bestimmte Objekte und Inhalte mit allen Sinnen erfahrbar sind. Eine weitere große Herausforderung ist es, die unterschiedlichen Bedürfnisse im Blick zu behalten und möglichst miteinander in Einklang zu bringen, da sie sich zum Teil auch widersprechen. Es ist nicht möglich, das Museum für alle gleich erlebbar zu machen. Mein Anspruch ist nicht das Museum für alle. Sondern dass der Museumsbesuch für alle Menschen möglich und lohnenswert, aber nicht für alle derselbe ist.

Wurden Sie bei der inklusiven Umgestaltung des Museumsangebots beraten?

Ja, wir haben sehr eng mit der Behindertengemeinschaft in Bonn zusammengearbeitet. Das ist ein Dachverband der verschiedenen Interessengruppen und Vereine, die sich in Bonn mit dem Thema Inklusion beschäftigen. Wir sind als Museum dem Dachverband beigetreten und haben darüber sehr viele Kontakte und Beratung bekommen. Ich habe die einzelnen Gruppen ins Museum eingeladen und bei Rundgängen besprochen, was gut ist, was nicht so gut ist, wo es für die einzelnen Gruppen Barrieren gibt und wie man diese beheben kann. Da kam schon sehr viel hilfreiches Feedback. Dann haben wir mit einer professionellen blinden Museumsberaterin zusammengearbeitet. Und wir wurden von einem Architekturgutachter, der selbst im Rollstuhl sitzt, beraten. So hatten wir einen guten Mix an professioneller Expertise und der Perspektive der Betroffenen.

Wie gut wird das barrierearme Angebot angenommen und welches Feedback erhalten Sie?

Wir nehmen schon wahr, dass gerade viele Menschen mit Mobilitätseinschränkung unser Museum besuchen. Hier erhält man auch viel positives Feedback von den Besuchern, die loben, dass sie überall hinkommen. Die speziellen Führungen, beispielsweise mit Gebärdendolmetscher, sind auch immer wieder sehr gut besucht. Das Landesmuseum hat mittlerweile einen guten Stellenwert in der Community. Es ist bekannt, dass es bei uns barrierefreie Angebote gibt, und das wird dann auch gut angenommen.

Wie wichtig sind barrierefreie Kultur- und Freizeitangebote für die Lebensqualität der Menschen mit Behinderung?

Der Freizeitfaktor ist für die Lebensqualität nicht hoch genug einzuschätzen. Gerade auch Menschen, die im Laufe ihres Lebens eine Behinderung erleiden, spiegeln uns immer wieder zurück, dass sie trotzdem weiter am gesellschaftlichen Leben und an Kulturerlebnissen teilhaben wollen. Aber auch Menschen, die von Geburt an eine Behinderung haben, wollen nicht nach der Arbeit nur zu Hause sitzen und nichts machen können. Und hier habe ich festgestellt, dass es dabei oft gar nicht so sehr auf die Inhalte der Museumsausstellung ankommt, sondern vielmehr, dass man mit anderen Menschen an einem schönen Ort ist. Einfach aktiver Teil der Gesellschaft zu sein.

Besonders barrierefreie Museen

Es gibt viele Museen, die auf Barrierefreiheit Wert legen. Hier haben wir für Sie eine kleine Auswahl getroffen: 

Deutsches Schiffahrt-Museum, Bremerhaven

Deutsches Historisches Museum, Berlin

Dasa, Dortmund

Museum Abtei Liesborn, Waldersloh-Liesborn

TECHNOSEUM, Mannheim

Museum der bildenden Künste, Leipzig

Nahaufnahme eines tastbaren Bildes, das von zwei Händen ertastet wird.

Nahaufnahme eines tastbaren Bildes. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Ein Frau betrachtet Bilder in einem Museum Bilder an einer Wand, auf dem Boden ist ein Tast-Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung zu sehen.

Durch die gesamte Ausstellung führt ein Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Außenaufnahme des LVR-Landesmuseums Bonn in der Dämmerung.

Das LVR-Landesmuseum hat mit viel Expertise seine Ausstellung so barrierefrei wie möglich umgestaltet. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Nahaufnahme eines tastbaren Bildes. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Durch die gesamte Ausstellung führt ein Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Das LVR-Landesmuseum hat mit viel Expertise seine Ausstellung so barrierefrei wie möglich umgestaltet. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

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