„Da kriege ich heute noch Gänsehaut“

Für junge Menschen mit Behinderung gibt es verschiedene Wege ins Gastgewerbe, beispielsweise durch eine IHK-Qualifizierung oder die Ausbildung zum Fachpraktiker. Das Hofgut Himmelreich verknüpft Gastronomie, Qualifizierung und Inklusion, und das mit Erfolg.

Mike Münch ist Chef im Hofgut Himmelreich, einem inklusiven Gastrobetrieb im Schwarzwald. Auf die Frage, warum es sich lohnt, Menschen mit Behinderung in der Gastro zu beschäftigen, erinnert er sich an einen sogenannten Inklusionsspieltag des 1. SC Freiburg zurück. Damals hatte das Hofgut Himmelreich das Cateringunternehmen des Fußballclubs mit Personal unterstützt und vor Ort mitgekocht. Die Chefin des Caterers stellte damals fest, dass sie noch nie solch einen Arbeitstag erlebt hätte. „Sie sagte zu mir: Das ist unglaublich, alle gehen aufeinander ein, haben den anderen im Blick, helfen einander!“ Münch lacht. „Wenn ich Ihnen das so erzähle, bekomme ich heute noch Gänsehaut“, erzählt der Chefgastronom.

Das Hofgut Himmelreich wurde 2004 als Inklusionsbetrieb gegründet. Derzeit arbeiten 29 fest angestellte Mitarbeitende in dem Unternehmen in der Nähe von Freiburg. 13 Mitarbeitende haben eine Behinderung. An den Hotel- und Restaurantbetrieb angeschlossen ist eine Akademie. Dort werden junge Menschen mit Behinderung qualifiziert, um in der Gastro zu arbeiten oder dort eine Ausbildung zu beginnen. Es handelt sich also um eine Vorabqualifizierung, die auf großen Zuspruch stößt. Die Lehrgänge gehen in der Regel 18 Monate, wechseln zwischen Praxis- und Theoriephasen ab und erfolgreich Teilnehmende schließen diese mit einem IHK-Zertifikat ab. Mit der Zertifizierung in der Tasche können sie sich um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bewerben. Viele werden direkt in die Partnerbetriebe übernommen. Die Abschlussquote ist mit über 80 Prozent hoch.

Akzeptanz und Geduld

Auch im Hofgut Himmelreich arbeiten Absolventinnen und Absolventen der Lehrgänge. Diese bilden Teams mit Mitarbeitenden, die eine Ausbildung zum Fachpraktiker (siehe Beschreibung am Textende) abgeschlossen haben, und mit Mitarbeitenden und Azubis ohne Behinderung. Mike Münch betont, dass es sich beim Hofgut Himmelreich nicht um eine Betreuungseinrichtung handelt, sondern um ein Unternehmen, das als gGmbH wirtschaftlich handeln muss. Trotzdem unterscheidet sich der Inklusionsbetrieb von einem normalen Gastronomiebetrieb, da hier Geduld und Toleranz mehr im Vordergrund stehen. Laut Münch ist der Umgang im Team von Achtsamkeit und Wertschätzung geprägt, die Zusammenarbeit ist viel menschlicher, wie auch das eingangs erwähnte Beispiel zeigt. Dazu kommen eine geringere Fluktuation in der Belegschaft, eine hohe Zufriedenheit und Beständigkeit und außerdem ein anderer Blick auf Abläufe: Wenn Prozesse nämlich, so der Chef, barrierefrei gestaltet werden, profitierten alle Mitarbeitenden.

Zu Besuch im Himmelreich

Ein Beitrag zur Qualifizierung der Himmelreich-Akademie findet sich auf dem Youtube-Kanal der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die das Unternehmen auch fördert. Sie können das Video aber auch hier direkt ansehen.

Doch ist ein inklusives Konzept die Antwort auf den Fachkräftemangel? „Jein“, sagt Münch. Wenn man nur eine Personalakquise-Strategie brauche, sei eine inklusive Belegschaft nicht das Richtige. Um wirtschaftlich und menschlich zu funktionieren, brauche es Leute, die das Konzept mittragen. Das reicht vom Küchenchef bis zum Schichtleiter. Mitarbeitende müssen sensibilisiert und gecoacht werden und allen Beteiligten muss klar sein, dass Prozesse sich verändern und es nicht so läuft wie in der Regelgastro. Wenn Arbeitgeber nur Sorge hätten, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr gekündigt werden könnten, so formuliert Münch es überspitzt, dann ist ein inklusiver Ansatz vielleicht nicht der Ansatz der Wahl. „Offenheit ist wichtig“, und dann, so Münch, passiere etwas Tolles: „Es verändert sich atmosphärisch alles!“

IHK-Qualifizierung der Himmelreich-Akademie

Wenn Sie mehr über die Qualifizierung erfahren möchten, lohnt sich ein Blick auf die Website der Himmelreich-Akademie. Dort gibt es Infos, aber auch Geschichten aus den Ausbildungslehrgängen. 

Zur Himmelreich-Akademie

Wer unterstützt das Hofgut Himmelreich?

Das Hotelrestaurant steht betriebswirtschaftlich auf eigenen Füßen, trotzdem erhält das Unternehmen für die Mitarbeitenden mit Behinderung einen Beschäftigungssicherungszuschuss beziehungsweise Ausgleichsleistungen für besonderen Aufwand durch das KVJS.Inklusions- und Integrationsamt. Außerdem erhält das Unternehmen derzeit eine Förderung der Aktion Mensch.

Was ist eine Ausbildung zum Fachpraktiker?

Die Fachpraktikerausbildung richtet sich an Menschen mit besonderem Förderbedarf, beispielsweise mit Lernschwierigkeiten oder körperlichen Einschränkungen. Sie ist eine anerkannte berufliche Qualifikation und eine angepasste Form der klassischen dualen Ausbildung, die durch praxisorientierte und verständliche Lehrinhalte einen niedrigschwelligen Einstieg ermöglicht. Es gibt zahlreiche Fachpraktiker-Ausbildungen. In der Gastronomie sind das vor allem:

  • Fachpraktiker Küche: Zubereitung einfacher Speisen, Hygienevorschriften, Lagerhaltung
  • Fachpraktiker im Gastgewerbe: Service, Gästebetreuung, Reinigung und Vorbereitung von Räumlichkeiten

Ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung ist die enge Verzahnung mit der Praxis. Die Auszubildenden arbeiten von Anfang an in realen Gastronomiebetrieben mit und lernen so direkt am Arbeitsplatz. Begleitend dazu erhalten sie theoretischen Unterricht in Berufsschulen oder speziellen Bildungseinrichtungen. Neben der Vermittlung von Fachwissen werden auch Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit und Zuverlässigkeit gefördert. Besonders im Gastgewerbe sind diese Eigenschaften von großer Bedeutung. Die Dauer der Ausbildung variiert je nach Bundesland und Ausbildungsberuf, liegt aber meist zwischen zwei und drei Jahren.

Vorteile für Arbeitgeber

  1. Loyalität und Motivation: Viele Fachpraktiker schätzen die Chance auf eine berufliche Perspektive und bleiben ihrem Ausbildungsbetrieb länger erhalten.
  2. Individuelle Förderung: Durch eine enge Betreuung und praxisnahe Inhalte können sich Fachpraktiker gezielt weiterentwickeln und ihre Stärken entfalten.
  3. Unterstützung und Förderung: Die Ausbildung wird durch staatliche Programme, Kammern und Berufsbildungswerke begleitet. Unternehmen können finanzielle Hilfen und Beratungsangebote nutzen.
  4. Fachkräfte von morgen: Fachpraktiker können nach ihrer Ausbildung weiterqualifiziert werden, sodass sie als wertvolle Mitarbeitende in die reguläre Belegschaft integriert werden.
  5. Soziale Verantwortung: Die Integration von Menschen mit besonderem Förderbedarf stärkt die gesellschaftliche Verantwortung und verbessert das Betriebsklima.

Mit dabei?

Wenn Gastronomiebetriebe auf der Suche nach engagierten Mitarbeitenden sind, lohnt es sich, die Fachpraktikerausbildung in Betracht zu ziehen. Informationen gibt es bei den zuständigen Kammern und Berufsbildungswerken.

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