Arbeiten wo andere Urlaub machen
Wer in der Gastronomie- oder Hotelbranche arbeitet, braucht hohe soziale Kompetenzen und muss bereit sein, dann zu arbeiten, wenn die meisten anderen freihaben. Für Arne Krüger-Brörken, Servicemitarbeiter im Hotel Villa Stern, ist das kein Problem. Er hat genau den richtigen Job für sich gefunden.



„Ein Hotel soll Gästen das Gefühl von Heimat auf Zeit vermitteln“, sagt Bettina Unruh. „Zu diesem Gefühl gehören Wärme, Geborgenheit und Wertschätzung. Dafür braucht es hohe soziale Kompetenz, und davon haben Menschen mit Beeinträchtigung meist besonders viel.“ Menschen wie Arne Krüger-Brörken. Er überzeugte die Geschäftsführerin der Villa Stern außerdem mit seiner „super Ausstrahlung“, und sie entschied: „Dieser Mann gehört in unser Hotel.“ Denn das liebevoll sanierte, historische Haus mit 15 Zimmern und eigenem Café ist ein Inklusionsunternehmen.
Positive Stimmung in allen Räumen
Gut acht Jahre später sagt Arne Krüger-Brörken: „Ich bin immer noch total happy hier. Das Ambiente ist toll, und von den Gästen bekommen wir viele Komplimente.“ Erste Erfahrungen im Bereich Gastronomie hatte der heute 35-Jährige in der Kantine einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gesammelt. Sie gehört ebenso wie die Villa Stern im niedersächsischen Oldenburg zur gemeinnützigen Gesellschaft „Baumhaus“, die darüber hinaus betreutes Wohnen und weitere inklusive Leistungen anbietet.
Seit 2015 kümmern sich 16 Beschäftigte in dem Drei-Sterne-Hotel um das Wohl der Gäste, sechs von ihnen wie Arne Krüger-Brörken mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung. Dass sie dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, erfüllt die Angestellten mit Dankbarkeit, was sich in der positiven Stimmung widerspiegelt, die alle Räume ausstrahlen. So ist es kein Wunder, dass der Dreiklang von hochwertiger Ausstattung, Qualitätsprodukten auf der Speisekarte und freundlichem Service nicht nur Übernachtungs- und Cafégäste anzieht – sondern auch das Integrationsamt überzeugte.
Wer Inklusion möchte, muss schöne Orte schaffen. Wo es schön ist, kommen auch andere hin.
Ausgleichsabgabe finanziert Inklusion
Anke Zimmer begleitete die Villa Stern von Anfang an und sagt: „Ich war schon bei der Antragstellung begeistert und bin es noch immer.“ Die Sachbearbeiterin beim Integrationsamt im Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie weiß, wovon sie spricht: Insgesamt 76 Inklusionsbetriebe, davon 15 gesonderte Inklusionsabteilungen innerhalb einzelner Unternehmen, gehören zum Aufgabengebiet ihres Teams. Finanziert wird das Ganze aus der Ausgleichsabgabe, die Firmen ab 20 Beschäftigten entrichten müssen, wenn sie keine oder zu wenige Menschen mit Behinderung beschäftigen.
Gewinn für die gesamte Gesellschaft
Die Idee der Inklusionsbetriebe bezeichnet Bettina Unruh als Gewinn für Gesellschaft, Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen: „Es werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, die Menschen mit Behinderung erhalten ein Gehalt und zahlen Abgaben. Sie sind somit Teil der Arbeitswelt und stellen darüber hinaus im Team eine große Bereicherung dar.“

Sie lobt den Fleiß, die Zuverlässigkeit und natürliche Freundlichkeit. Am Unternehmenserfolg sind Menschen mit Behinderung maßgeblich beteiligt – die Online-Bewertungen der Villa Stern sprechen für sich. Da ist vom „warmherzigen Service“ zu lesen, von den „wunderbaren Menschen, deren Lachen die Seele berührt“, und dass sich der Hotelaufenthalt „anfühlte wie zu Hause“. Somit überrascht es nicht, dass die Villa Stern zahlreiche Stammgäste hat – im Café, aber auch im Hotel. „Manche feiern regelmäßig Weihnachten bei uns“, erzählt die Geschäftsführerin. „Und wenn ich freihabe, fragen die Gäste im Café nach mir“, berichtet Arne Krüger-Brörken.
Weiterbildung im Team
Das gelte natürlich auch für seine Kolleginnen und Kollegen. Im Service, in der Küche und an der Rezeption arbeiten sie immer in Zweierteams mit sich ergänzenden Kompetenzen. Diese werden in regelmäßigen Weiterbildungsangeboten ausgebaut. Der überzeugte Kaffeetrinker Arne Krüger-Brörken zum Beispiel hat sich gemeinsam mit anderen im Team als Barista qualifiziert. Stilvoll in Schwarz-Weiß gekleidet, die Männer mit Fliege am Hemdkragen, servieren sie auf kleinen Tabletts ihre heißen Köstlichkeiten – vom Caffè Latte bis zum Cappuccino mit Kakaomuster auf dem Milchschaum. Ein charmantes Lächeln gibt’s gratis dazu.



Auch der Aufbau des Frühstücksbüfetts und das Eindecken der Tische für die Hotelgäste gehören zu Arne Krüger-Brörkens Aufgaben. 35 Wochenstunden, verteilt auf drei Schichten an fünf Tagen, verbringt er an seinem Arbeitsplatz. „Am Wochenende ist immer am meisten los“, erzählt er und freut sich, wenn er jemandem darüber hinaus etwas Gutes tun kann. Zum Beispiel der Touristin aus Spanien, die mit einem der kostenlosen hoteleigenen Leihfahrräder einen bestimmten Ort suchte. Also schwang sich der gebürtige Oldenburger nach Dienstschluss aufs Rad und zeigte ihr den Weg. Das habe die Frau „voll glücklich“ gemacht, erinnert er sich zufrieden.
Dass er vom Team bereits einmal zum Mitarbeiter des Jahres gewählt wurde, hat er sich also redlich verdient. Als Preis gab es Blumen sowie einen Gutschein für einen Aufenthalt in einem anderen Inklusionshotel.
„Weil Nähe hilft, sich zu verstehen”
Ihre persönliche Vorstellung von der Gesellschaft möchte Bettina Unruh auch in der Gestaltung der Hotelzimmer ausdrücken. Sie beschreibt es so: „Alle unsere Zimmer sind verschieden, haben aber auch etwas Verbindendes wie zum Beispiel die gleichen hochwertigen Hotelbetten.“ Genau wie alle Menschen verschieden, in gewissen Dingen aber gleich seien. „Bei uns geht es um Zugehörigkeit und Wertschätzung. Dabei liegt der Mehrwert auf beiden Seiten.“ Das habe kürzlich erst eine neue Kollegin an der Rezeption – ohne Beeinträchtigung – bestätigt, die von dem Miteinander im Hotel vollauf begeistert sei.
Das Miteinander hört nach Dienstschluss übrigens nicht auf: „Mit unserem Basketballteam haben wir auf Turnieren schon viele Pokale gewonnen“, erzählt Arne Krüger-Brörken. Gemeinsames Bowling trägt darüber hinaus zu Fitness und Teamgeist bei. Unter dem Motto „Weil Nähe hilft, sich zu verstehen“ lächeln er und die Hotelleiterin Jana Jansen sogar von der großformatigen Werbefläche eines Oldenburger Stadtbusses. Als Postkarte liegt diese Botschaft auch im Hotel aus, Arne Krüger-Brörken spricht augenzwinkernd von „Autogrammkarten“. Denn wer mag, erhält ein Exemplar mit Unterschrift.


Persönlicher Kontakt zum Integrationsamt
Dass erfolgreiche Inklusion nicht ohne finanzielle Zuschüsse funktioniert, war Bettina Unruh nach jahrzehntelanger Erfahrung in diesem Bereich bewusst. Neben der Förderung durch das Integrationsamt unterstützt auch die Aktion Mensch das Hotel. „Wir versuchen, unbürokratisch zu handeln. Wichtig ist aber immer der direkte Kontakt“, so Anke Zimmer. Die Branchen und die Unternehmensgrößen der vom Integrationsamt geförderten Betriebe bezeichnet sie als „bunten Strauß“: „Vom Café, das zwei Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt, bis zur Großwäscherei, wo 150 von ihnen arbeiten.“
Geduld und Flexibilität sind gefragt
Keine Frage, ein Inklusionsbetrieb bringt auch besondere Herausforderungen im Alltag mit sich. Nicht zuletzt, weil die Beeinträchtigungen im Team ganz unterschiedlicher Art sind. „Man muss engagiert sein und Freude an der Arbeit haben, aber manchmal auch flexibel sein“, erklärt Bettina Unruh. „Geduld ist wichtig und die Fähigkeit, sehr viel zu kommunizieren.“
Dafür bekommt sie echte Wertschätzung zurück. Zum Beispiel von Arne Krüger-Brörken, der nach eigenem Bekunden „gerne sagt, was gut ist“ und aus tiefster Überzeugung hinzufügt: „Es ist toll, wie sie das macht, das muss man einfach mal loswerden.“
Schritt für Schritt zum Inklusionsbetrieb
- Voraussetzung zur Gründung eines Inklusionsbetriebes oder einer Inklusionsabteilung: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung mit einem Anteil von 30 bis 50 Prozent an der Gesamtbeschäftigtenzahl.
- Gründer beziehungsweise bestehende Unternehmen senden einen formlosen Antrag mit einem Grobkonzept der Geschäftsidee ans zuständige Integrationsamt.
- Alternativ kann eine Beraterfirma die Antragstellung übernehmen.
- Das Amt berät bei der Weiterentwicklung des Konzepts wie Ausstattung, Investitionen oder Kostenplan.
- In einer abschließenden persönlichen Präsentation vor Ort wird endgültig über die Fördermaßnahmen entschieden.
Ausführliche Informationen zu Fördermöglichkeiten sowie Vorlagen für Anträge erhalten Sie bei den Integrations- und Inklusionsämtern der jeweiligen Bundesländer. Auf der Website der BIH finden Sie eine Übersicht.
Bildergalerie
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