Weiterbildung inklusive!
Eine ehrgeizige Mitarbeiterin mit Hörbehinderung. Eine engagierte Vertrauensperson. Ein offener Arbeitgeber und eine unkomplizierte Behörde: wie berufliche Weiterbildung auch mit Beeinträchtigung gelingen kann.
Nach zwölf Jahren als technische Sachbearbeiterin bei der Bayernwerk Netz GmbH fand Eva Hagenbucher, es sei Zeit für eine Weiterentwicklung. Also entschloss sich die damals 33-Jährige zu einer berufsbegleitenden Qualifikation zur Industriemeisterin Elektrotechnik. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang – wenn Eva Hagenbucher nicht von Geburt an taub wäre. Die damit verbundene Herausforderung für sie: „Es war das erste Mal, dass ich in einer hörenden Umgebung lernen musste.“ Denn ihre Schulzeit bis zur Mittleren Reife und auch den Blockunterricht für die Berufsausbildung bei der Bayernwerk Netz konnte Eva Hagenbucher in Schulen für Hörgeschädigte ablegen.
Schriftdolmetschen erleichterte die Teilnahme
Um die Weiterbildung ihrer Beschäftigten und externer Interessierter zu fördern, hat das Bayernwerk eine eigene Akademie gegründet, für die sich auch Eva Hagenbucher entschied. Mit Unterstützung ihres Arbeitgebers beantragte die gelernte Industriekauffrau beim ZBFS-Inklusionsamt ein Hilfsmittel beziehungsweise eine Leistung, die es ihr erleichterte, die Vorlesungen mitzuverfolgen: das sogenannte Schriftdolmetschen. Dabei stand ihr ein Team von insgesamt zehn Dolmetschern zur Verfügung, die dem Unterricht abwechselnd beiwohnten und die gesprochenen Inhalte verschriftlichten. Auf ihrem Tablet (ein Hilfsmittel, das sie schon länger hat) konnte sie so mitlesen und die Aufzeichnungen zum Nacharbeiten nutzen. Ein durchweg positives Verfahren, wie Eva Hagenbucher bestätigt: „Nach einer kurzen Einweisung musste ich mich um nichts Weiteres kümmern.“ Ihr Arbeitgeber übernahm dabei alle Kosten, die das Inklusionsamt nicht förderte und ermöglichte Eva Hagenbucher so die Weiterbildung.
Ich musste mich beim Schriftdolmetschen um nichts kümmern.
Was Inklusionsbeauftragte bewirken können
Grundsätzlich helfen ihr bei der Kommunikation seit dem Alter von 14 Jahren zwei Cochlea-Implantate. „Ich nutze sie von früh bis abends und bin damit sehr zufrieden“, so Eva Hagenbucher. Dennoch sei es wichtig, dass ihre Gesprächspartner sie ansehen und deutlich sprechen, sagt die 34-Jährige. Sie benutzt die Gebärdensprache, die sie als Kind gelernt hat, ebenso wie die Lautsprache und kann von den Lippen absehen.
Damit die passenden Hilfsmittel und Weiterbildungsmaßnahmen bei den Beschäftigten ankommen, bedarf es der Recherche und Organisation – Aufgaben, die bei der Bayernwerk Netz Teresa Zenker wahrnimmt. Als Inklusionsbeauftragte kümmert sie sich von Arbeitgeberseite aus um die Anliegen schwerbehinderter Menschen. Zurzeit absolviert die ausgebildete Ergotherapeutin einen Master zum Thema „Gesundheit und Diversity in der Arbeit“. Damit macht sie sich gleichzeitig fit für den zweiten Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, den Bereich „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“.
Im Unterschied zu dem Betriebsrat oder der Schwerbehindertenvertretung sind Inklusionsbeauftragte Ansprechpartner für den Arbeitgeber. Laut Paragraf 181 SGB IX ist ihre Bestellung für Unternehmen sogar verpflichtend. Teresa Zenker hingegen ist überzeugt, in ihrer Funktion viel bewirken zu können. Sie empfiehlt Unternehmen, sich dem Thema Inklusion mit Mut, Offenheit und ohne Vorbehalte zu nähern. „Inklusion macht uns stärker und wettbewerbsfähiger. Wir sollten darauf vertrauen, dass jeder Mensch etwas mitbringt, was das Unternehmen weiterbringen kann“, sagt die 33-Jährige. Seit Januar 2025 will sie – als junge Mutter zunächst in Teilzeit – vom Hauptstandort Regensburg aus dazu beitragen. Die Betreuung von Eva Hagenbuchers Förderantrag gehörte zu ihren ersten Aufgaben. Der Bewilligungsbescheid lag bereits vor, nun mussten unter anderem Mittel abgerufen, korrekt dargestellt und verbucht werden. Vom Inklusionsamt erhielt sie dabei stets Unterstützung. Formlos, schnell und weitgehend unbürokratisch, wie sie zurückblickt: „Mein Ansprechpartner war immer erreichbar und sehr kooperativ, wenn ich nicht weiterwusste. Ich musste nie lange auf eine Antwort warten.“
Wie Inklusions- und Integrationsämter unterstützen
Positives Feedback zu ihrer kompetenten Beratung und unkomplizierten Ausführung erhalten sie häufig, freut sich Evangelia Schaufler, Leiterin des ZBFS-Inklusionsamts Oberbayern – von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen. „Das liegt auch daran, dass wir den Menschen etwas zurückgeben und immer versuchen weiterzuhelfen“, wie sie sagt. Mit der Bayernwerk Netz GmbH hatten ihre Mitarbeiter bereits im Rahmen früherer Fördermaßnahmen Kontakt.
Evangelia Schaufler ermutigt Unternehmen und auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Beratung in Anspruch zu nehmen. Bei technischen Hilfsmitteln bestehe zwar eine Zweckbindung, doch regelmäßig notwendige Leistungen wie Arbeitsassistenz oder Lohnkostenzuschüsse, die auf Zeit gewährt werden, könnten lückenlos beantragt werden. Einmal ins Rollen gebracht, sei der Aufwand also entsprechend überschaubar.
„Unsere Leistungen werden ausschließlich aus den Einnahmen der Ausgleichsabgabe finanziert“, erklärt Schaufler. Zu den Unterstützungsmöglichkeiten gehören für Arbeitgeber unter anderem die Schaffung und Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Menschen mit Behinderung oder Beschäftigungssicherungszuschüsse. Es gibt aber auch zahlreiche Fördermöglichkeiten an schwerbehinderte Menschen selbst, zum Beispiel die beschriebenen Dolmetscherleistungen für Menschen mit Hörbehinderung.
Wir sollten darauf vertrauen, dass jeder Mensch etwas mitbringt, was das Unternehmen weiterbringen kann.
Einfache schriftliche Erklärung genügt
Wege zur Förderung gibt es verschiedene: Prinzipiell können Arbeitgeber bei jeder Sozialbehörde Leistungen beantragen, so Evangelia Schaufler. „Es reicht eine einfache schriftliche Erklärung, die dann an den zuständigen Leistungsträger weitergeleitet wird.“ Dieser prüft die Voraussetzungen, und die Bewilligung nimmt ihren Lauf. Wichtig zu wissen: Das Inklusionsamt ist nur zuständig, wenn kein Anspruch auf eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben von anderen Rehaträgern oder Dritten besteht und eine Gleichstellung oder Schwerbehinderung vorliegt. Evangelia Schaufler empfiehlt Antragstellern daher, sich bei Unsicherheit zunächst beim Inklusionsamt, bei den Einheitlichen Ansprechstellen (EAA) oder dem Integrationsfachdienst (IFD) beraten zu lassen.
Weiterbildung online oder in Präsenz
Neun Monate dauerte Eva Hagenbuchers Weiterbildung bei der Akademie, aufgeteilt in einen Vollzeit- und einen Teilzeitblock. Circa 70 weitere Bayernwerk-Kollegen waren dabei. Sie kamen aus dem gesamten Bundesland, wo das Unternehmen mehr als 20 Standorte mit insgesamt mehr als 4.200 Beschäftigten hat. Die Teilnahme war vor Ort sowie online möglich. Als einzige Teilnehmerin mit Beeinträchtigung berichtet Eva Hagenbucher von einem respektvollen, „ganz normalen“ Umgang und einem angenehmen Umfeld, entschied sich dennoch nach einigen Präsenzterminen für die Online-Variante. Das ersparte ihr nicht nur die Fahrt von ihrem Wohnort München nach Regensburg, auch der Unterricht gestaltete sich von zu Hause aus entspannter.
Im Alltag zieht Eva Hagenbucher jedoch die Arbeit im Büro dem Homeoffice vor. „Ich habe einfach gern direkten Kontakt zu den Kollegen“, sagt sie. Von zu Hause bis zu ihrem Arbeitsplatz in Taufkirchen braucht sie mit dem Auto 20 Minuten. Dort hat die frischgebackene Industriemeisterin mittlerweile eine Stelle als Planungs- und Projektmanagerin im Bereich Planung und Netzbau. Sie erstellt nun beispielsweise technische Konzepte für das Nieder-, Mittelspannungs- und Straßenbeleuchtungsnetz.
Sensibilisierung und Sichtbarkeit erhöhen
Um Erfolgsgeschichten wie diese und vieles mehr zu verwirklichen, trifft sich Teresa Zenker regelmäßig im etwa zehnköpfigen Themenkreis Inklusion. Daran nehmen unter anderem Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat sowie Kollegen aus den Bereichen Personal, Organisation, Ausbildung und Politik teil. Themen sind beispielsweise die externe Überprüfung der Barrierefreiheit oder die Teilnahme an Inklusionspreisen - die Firma hat sich beim bayerischen "JobErfolg" beworben, einem Preis für Inklusion -, um die Sichtbarkeit des Konzerns zu erhöhen, aber auch interne Sensibilisierung. Der Themenkreis Inklusion basiert auf Freiwilligkeit. „Entsprechend hoch sind die Ambitionen und die Dynamik“, beobachtet Teresa Zenker. „Da geht etwas voran. Vielleicht mit kleinen Schritten, aber in die richtige Richtung.“
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Finanzielle Leistungen an Arbeitnehmer
Die Integrations- und Inklusionsämter beraten und unterstützen Angestellte individuell in folgenden Bereichen:
- Technische Arbeitshilfen
- Arbeitsassistenzen
- Gebärdensprach- und Schriftdolmetschen
- Berufliche Weiterbildungen inklusive spezieller Assistenzformen, die dafür benötigt werden
- Kraftfahrzeughilfe
- Berufliche Existenzen bei Gründung und Erhaltung beruflicher Selbstständigkeit
Es wird empfohlen, die genauen Bedürfnisse vorab gemeinsam zusammenzutragen. Dann genügt eine einfache schriftliche Erklärung.
Weitere Informationen zu den finanziellen Leistungen für Arbeitnehmer finden Sie bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH).
Im konkreten Fall war das Inklusionsamt des Zentrum Bayern Familie und Soziales zuständig.
Wichtig für die Förderung
Um Förderleistungen für Arbeitnehmer vom Inklusionsamt zu erhalten, gelten folgende Voraussetzungen:
- Arbeitsplatz mit mindestens 15 Wochenstunden
- Anerkannte Behinderung mit Gleichstellung oder Schwerbehinderung
- Antragstellung vor Beginn der Maßnahme
- Kein Anspruch auf Leistung gegenüber dem Arbeitgeber, Dritten oder anderen Behörden
- Maßnahme zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten
- Anpassung an technische Entwicklung oder Hilfe zum beruflichen Aufstieg
- Grundsätzliche Eignung bzw. Aussicht auf Erfolg
Hier erhalten Sie weitere Informationen zu den Aufgaben und Leistungen der Integrationsämter.
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