Schlüssel zur Teilhabe am Arbeitsleben

Eine Arbeitsassistenz ermöglicht Menschen mit Behinderung, ihren Beruf gleichberechtigt und selbstbestimmt auszuüben. Was das konkret bedeutet, wo man Unterstützung beantragen kann und welche Rolle die Schwerbehindertenvertretung (SBV) spielen kann, erfahren Sie in diesem Bericht.

Die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben soll für alle möglich sein. Doch nicht jeder Mensch mit Behinderung kann seinen beruflichen Alltag ohne Unterstützung meistern. Hier setzt die Arbeitsassistenz an: eine individuelle Hilfe am Arbeitsplatz, die es Menschen mit Schwerbehinderung ermöglicht, ihre beruflichen Aufgaben gleichberechtigt zu erfüllen. „Damit ist die Arbeitsassistenzleistung ein bedeutendes und zentrales Instrument zur Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung“, sagt Tanja Schulz, die beim LVR-Inklusionsamt für begleitende Hilfen zuständig ist.

Menschen mit Schwerbehinderung verfügten oft über die notwendige fachliche Qualifikation für einen Beruf, stießen aber aufgrund ihrer behinderungsbedingten Einschränkungen auf Hindernisse bei der Arbeitssuche oder bei der praktischen Arbeitsausführung, schildert Tanja Schulz die Ausgangslage. Und genau hier setze die Arbeitsassistenz an. Die Arbeitsassistenz ist eine arbeitsplatzbezogene Unterstützung, die dort unterstützt, wo die Behinderung den Arbeitsalltag erschwert oder eben „behindert“ – und zwar so, dass die betroffene Person ihre arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen kann. Sie richtet sich an Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, die in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung stehen oder diese aufnehmen wollen. Auch Selbstständige können eine Arbeitsassistenz erhalten. Das Ziel ist eine selbstbestimmte, langfristige berufliche Teilhabe.

Wer hat Anspruch?

Grundsätzlich kann jeder Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung eine Arbeitsassistenz beantragen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die Tätigkeit ist ohne Unterstützung nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
  • Die Assistenz ist notwendig, um eine Arbeit aufzunehmen oder zu erhalten.
  • Es handelt sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder eine gleichwertige Tätigkeit oder eine Selbstständigkeit.

Ob die Tätigkeit im Büro, im Handwerk, in der Wissenschaft oder in der Produktion ausgeübt wird – spielt keine Rolle.

Befähigung zur Arbeit

Je nach Art der Behinderung und Anforderungen am Arbeitsplatz können ganz unterschiedliche Unterstützungsleistungen unter den Begriff Arbeitsassistenz fallen. „Die Arbeitsassistenz ersetzt Hände, Arme, Beine, Ohren oder Augen des eingeschränkten Menschen, übernimmt also Tätigkeiten wie zum Beispiel Mobilitätsunterstützung bei Dienstreisen oder das Anreichen von Akten bei körperlich eingeschränkten Menschen, das Vorlesen und die Dokumenteneinsicht für sehbehinderte Menschen sowie die Dolmetschleistung für höreingeschränkte Menschen“, fasst Tanja Schulz zusammen. Wichtig ist: Die Assistenz übernimmt nicht die Arbeit der unterstützten Person, sondern befähigt sie dazu, diese selbstständig zu leisten.

Ein Anspruch auf Arbeitsassistenz besteht immer dann, wenn sie für die Aufnahme oder Sicherung eines Arbeitsplatzes notwendig ist, der Einsatz sinnvoller technischer Hilfsmittel nicht gegeben ist und der Bedarf regelmäßig und dauerhaft besteht. Juristisch geregelt ist dies in zwei unterschiedlichen Formen:

  • Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes werden nach § 49 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX von einem Rehabilitationsträger wie der Bundesagentur für Arbeit oder der Deutschen Rentenversicherung erbracht.
  • Die Sicherung eines bestehenden Arbeitsplatzes greift die Regelungen des § 185 Abs. 5 SGB IX sowie § 17 Abs. 1a SchwbAV auf – zuständig ist dann das Integrations- oder Inklusionsamt.

Und der Arbeitgeber ...?

Arbeitgeber können pesonelle Unterstützung beantragen. Die Personelle Unterstützung (auch besonderer Betreuungsaufwand genannt) greift, wenn außergewöhnliche Aufwendungen in Form von zusätzlichen Personalkosten anderer Beschäftigter, gelegentlich auch externer Betreuer anfallen. Gemeint sind damit Un­ter­stüt­zungs- und Betreuungsleistungen für den Menschen mit Schwerbehinderung bei der Ar­beits­tä­tig­keit. Beispiele sind die Vorlesekraft für blinde Menschen, der betriebliche Ansprechpartner für gehörlose Menschen oder Menschen mit seelischer Behinderung, aber auch die ständig erforderliche Mithilfe von Arbeitskollegen bei der Arbeitsausführung sowie be­hin­de­rungs­be­ding­te längere oder wiederkehrende Unterweisungen am Ar­beits­platz, etwa durch den Meister bei einem Menschen mit geistiger Behinderung.

Personelle Unterstützung ist von der Arbeitsassistzenz abgegrenzt, auch wenn die Aufgabengebiete sich teilweise überschneiden. 

… Schwerbehinderte Menschen haben im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Der Anspruch richtet sich auf die Übernahme der vollen Kosten, die für eine als notwendig festgestellte Arbeitsassistenz entstehen.“
§ 185 Abs. 5 SGB IX sowie § 17 Abs. 1a SchwbAV (fast wortgleich)

Arbeitnehmer als Arbeitgeber

In der Praxis erfolgt die Bewilligung nahezu immer über das Integrations- oder Inklusionsamt. Der Grund: Die Leistung ist häufig langfristig notwendig, und die zentrale Zuständigkeit verhindert einen Trägerwechsel bei dauerhaftem Bedarf. „Vor der Bewilligung der Arbeitsassistenzleistung wird zunächst der Bedarf bemessen, also die Anzahl der durchschnittlich notwendigen Arbeitsassistenzstunden pro Tag beziehungsweise pro Woche. Diese Bedarfsmessung findet entweder im Rahmen eines Betriebsbesuchs am Arbeitsplatz durch die Sachbearbeitung Arbeitsassistenz mit Begleitung des technischen Beratungsdienstes oder durch die Einbindung unserer Experten vor Ort – die Integrationsfachdienste Sehen oder Hören – statt“, beschreibt Tanja Schulz den Ablauf.

Der Arbeitgeber ist dabei nicht Vertragspartner der Assistenz, sondern allein die Person mit Schwerbehinderung – im sogenannten Arbeitgebermodell. Sie organisiert die Unterstützung eigenständig – besondere Herausforderung dabei ist, dass die passende Arbeitsassistenz selbst gefunden, angesprochen und gegebenenfalls angestellt wird. Deshalb kann die Person mit Schwerbehinderung auch externe Anbieter beauftragen, die dann die Arbeitsassistenz zur Verfügung stellen – im sogenannten Dienstleistermodell.

Kurz zusammengefasst: Arbeitgeber- und Dienstleistermodell

Bei der Organisation der Arbeitsassistenz können Menschen mit Schwerbehinderung zwischen zwei grundlegenden Modellen wählen:

Arbeitgebermodell
In diesem Modell wird die Assistenzkraft direkt von der Person mit Schwerbehinderung angestellt. Diese übernimmt damit selbst die Verantwortung für Auswahl, Anstellung, Arbeitsvertrag, Lohnabrechnung und Urlaubsplanung der Assistenz. Das Modell bietet viel Selbstbestimmung, erfordert aber auch organisatorisches Geschick und rechtliches Wissen.

Dienstleistermodell
Hierbei wird die Assistenz über einen externen Anbieter (Pflegedienst oder Assistenzdienst) organisiert. Der Dienstleister übernimmt alle Arbeitgeberpflichten, stellt die Assistenzkräfte und kümmert sich um Einsatzplanung und Abrechnung. Die Person mit Schwerbehinderung ist Kunde  – das bedeutet weniger Aufwand, aber auch weniger Kontrolle bei der Auswahl und Gestaltung der Assistenz.

Beide Modelle haben Vor- und Nachteile und sollten individuell nach persönlicher Lebenssituation und persönlichem Bedarf gewählt werden.

Die Finanzierung erfolgt in Form einer pauschalen Geldleistung, die direkt der oder dem Leistungsberechtigten zur Verfügung gestellt wird. Die Höhe richtet sich nach dem Umfang der benötigten Hilfe – üblich sind zum Beispiel wöchentliche Pauschalen auf Basis von 10 bis 20 Stunden Assistenzzeit. Die Organisation kann flexibel erfolgen, etwa über eine Minijob-Anstellung, eine sozialversicherungspflichtige Teilzeit oder eine freiberufliche Vereinbarung.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Wer selbst auf der Suche nach einer passenden Assistenz ist, steht vor der Frage: Wie und wo finde ich geeignete Personen? Tatsächlich ist die Suche ein wesentlicher Teil der Selbstverantwortung des Arbeitnehmers mit Behinderung – denn der Antrag auf Arbeitsassistenz beinhaltet nicht die Vermittlung einer Assistenzkraft. Viele Suchende schalten daher eigene Anzeigen in lokalen Zeitungen oder nutzen spezielle Online-Portale. Auch Aushänge an Universitäten oder Ähnlichem können erfolgreich sein.

Informieren, begleiten, ermutigen

Schwerbehindertenvertretungen sind oft die ersten Anlaufstellen, wenn Beschäftigte Fragen zur Arbeitsassistenz haben. Sie können nicht nur informieren, sondern auch beim Antrag helfen, bei der Kommunikation mit dem Integrations-/Inklusionsamt unterstützen oder externe Fachstellen wie Integrationsfachdienste ins Boot holen.

Für Arbeitgeber bringt die Arbeitsassistenz zusätzliche Stabilität in den Arbeitsalltag: Qualifizierte Fachkräfte können gehalten werden, der Arbeitsplatz wird inklusiver – und oft auch flexibler. Für den Arbeitgeber fällt in der Regel kein Aufwand an: Die Kosten für die Assistenz werden vollständig übernommen und eine aufwendige Organisation durch den Betrieb ist nicht erforderlich.

Die Arbeitsassistenz ist kein Luxus. Sie ist ein wichtiger Bestandteil eines inklusiven Arbeitsmarktes. Für viele Menschen mit Behinderung ist sie der entscheidende Faktor dafür, dass sie ihre Qualifikationen gleichberechtigt einbringen können. Das sieht auch Tanja Schulz so: „Die Arbeitsassistenz leistet einen wesentlichen Beitrag zur Selbstbestimmung, Chancengleichheit und Vermeidung von Diskriminierung.“

Mehr Informationen zum Thema

Wenn Sie mehr wissen wollen, empfiehlt sich ein Blick in die BIH-Empfehlungen zum Thema „Arbeitsassistenz – ein wichtiger Baustein zur Teilhabe am Arbeitsleben“. Sie bieten fundierte Informationen, rechtliche Grundlagen und Hinweise zur Antragstellung. Sie stehen online zum Download zur Verfügung. 

Tipp für die Praxis

Auf der Website Ihres zuständigen Integrations- oder Inklusionsamts finden Sie Antragsformulare, Checklisten und Ansprechpartner für die Beantragung von Arbeitsassistenz. Oft helfen auch die Integrationsfachdienste (IFD) bei der Bedarfsklärung.

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