Ein Icon das Illustrierte Personensilhouetten zeigt.

Gemeinsam sind wir stark

Wenn Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam arbeiten, entstehen neue Perspektiven, ein gutes Betriebsklima und viel Innovationskraft. Doch wie gelingt dies im Alltag? Wir geben Antworten und sprachen außerdem mit Dirk Bratschedl, der Kurse für inklusive Teams leitet.

Inklusives (Zusammen-)Arbeiten hat heute einen höheren Stellenwert als früher – nicht zuletzt, weil Unternehmen dadurch für Bewerberinnen und Bewerber attraktiver werden. Laut einer Studie der IU Internationalen Hochschule schätzen 75 Prozent der befragten Bewerberinnen und Bewerber Diversity and Inklusion als wichtig bei der Arbeitgeberwahl ein.

Inklusive Teams bringen, von der Attraktivität für Bewerber abgesehen, zahlreiche weitere Vorteile mit sich. Unterschiedliche Lebenswelten und Erfahrungen führen oft zu neuen Impulsen, kreativeren Lösungen und Innovationskraft. Darüber hinaus berichten diverse Teams häufig von einem respektvollen und wertschätzenden Mit­ein­ander – das Betriebsklima verbessert sich spürbar, wenn Teams vielfältiger werden. Unternehmen, die Inklusion bewusst fördern, übernehmen soziale Verantwortung und setzen ein Zeichen für eine faire Arbeitswelt. Auch im Hinblick auf den anhaltenden Fachkräftemangel kann das Potenzial von Menschen mit Behinderung genutzt werden, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig zu binden.

Auf einen Blick: die Vorteile inklusiver Zusammenarbeit

  • Vielfalt bringt neue Impulse: Unterschiedliche Lebenswelten und Erfahrungen führen zu kreativeren Lösungen und stärken die Innovationsfähigkeit.
  • Besseres Betriebsklima: Teams, die Vielfalt leben, berichten häufiger von einem respektvolleren Miteinander.
  • Soziale Verantwortung sichtbar machen: Unternehmen, die inklusiv arbeiten, setzen ein Zeichen – intern wie extern – für eine faire Arbeitswelt.
  • Fachkräfte gewinnen und binden: In Zeiten von Fachkräftemangel lohnt es sich doppelt, das Potenzial von Menschen mit Behinderung zu nutzen.

 

Natürlich bringt inklusive Zusammenarbeit auch Herausforderungen mit sich. Unterschiedliche Kommunikationsstile oder ein erhöhter Unterstützungsbedarf können anfangs zu Missverständnissen führen. Ebenso sind Berührungsängste keine Seltenheit – Kolleginnen und Kollegen haben vielleicht wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderung, was zunächst Unsicherheit auslösen kann. Auch Arbeitsprozesse müssen mitunter angepasst oder neu strukturiert werden, was zusätzliche Planung erfordert. Doch all diese Herausforderungen lassen sich mit Offenheit, sorgfältiger Vorbereitung und professioneller Begleitung gut bewältigen – und lohnen sich langfristig für alle Beteiligten.

Auf einen Blick: Herausforderungen realistisch betrachten

  • Kommunikation und Missverständnisse: Unterschiedliche Ausdrucksweisen oder Unterstützungsbedarfe können zunächst irritieren.
  • Berührungsängste: Manche Kolleginnen und Kollegen haben wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderung – Unsicherheit ist normal, aber kein Hindernis.
  • Anpassung von Arbeitsprozessen: Manche Tätigkeiten müssen neu strukturiert oder angepasst werden, was zusätzlichen Aufwand bedeuten kann.

Inklusiv zusammenzuarbeiten bedeutet, individuelle Voraussetzungen und Einschränkungen zu berücksichtigen – beispielsweise durch barrierefreie Zugänge, den Einsatz assistiver Technologien oder flexibler Arbeitszeiten. Viele Hürden lassen sich mit überschaubarem Aufwand abbauen, wenn das nötige Wissen vorhanden ist. Weitere technologische und organisatorische Anpassungen sind mitunter notwendig, etwa durch digitale Hilfsmittel oder durch mehr Spielraum bei der Aufgabenverteilung. Damit solche Veränderungen gelingen, braucht es Offenheit, Bereitschaft zum Lernen und professionelle Begleitung. Beratung dazu, wo Sie eine solche Begleitung finden können, bieten Inklusions- und Integrationsämter, Integrationsfachdienste und auch die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber.

Wesentlich ist bei der Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung ein Umdenken auf mehreren Ebenen: Inklusion bedeutet nicht nur, Menschen mit Einschränkungen einzustellen, sondern auch, ihre Potenziale gezielt zu fördern. Mitarbeitende sollten ihren Stärken entsprechend eingesetzt werden, etwa durch Jobcarving, was nicht nur das Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch Kreativität und Produktivität im Team fördert. Gleichzeitig kann eine flexible Arbeitsorganisation dazu beitragen, chronische Erkrankungen oder andere Einschränkungen besser zu berück­sich­tigen – was allen Mitarbeitenden zugutekommt.

Ein inklusives Arbeitsumfeld benötigt zudem eine offene, wertschätzende Kommunikation. Oft reicht schon eine kleine Änderung in der Wortwahl, um Barrieren abzubauen und das Miteinander zu stärken. Führungskräfte haben hier eine besondere Verantwortung: Sie prägen die Unternehmenskultur und können durch ihr Vorbild wesentlich zur Akzeptanz von Vielfalt beitragen.

Auf einen Blick: fünf konkrete Tipps für eine gelingende Zusammenarbeit

1. Offene Kommunikation fördern: Regelmäßige Teamsitzungen, Feedbackrunden und Raum für Fragen schaffen Vertrauen.

2. Berührungsängste abbauen: Schulungen oder Austauschformate helfen, Unsicherheit durch Wissen zu ersetzen.

3. Auf individuelle Stärken schauen: Menschen mit Behinderung bringen oft ganz besondere Talente mit – diese gezielt fördern!

4. Arbeitsumfeld anpassen: Kleine Änderungen an Arbeitsplatz oder Arbeitszeit können große Wirkung haben.

5. Unterstützung nutzen: Jobcoaches, Integrationsfachdienste und Inklusionsbeauftragte sind wichtige Partner.

Konkret: Kollegenseminare für inklusive Teams

Kollegenseminare bieten Teams aus Menschen mit und ohne Behinderung die Möglichkeit, sich besser kennenzulernen, Vorurteile abzubauen und ein gemeinsames Verständnis für Zusammenarbeit zu entwickeln. In einem geschützten Rahmen wird Raum für Fragen, Austausch und praxisnahe Übungen geschaffen. Ziel ist es, Unsicherheiten zu begegnen, die Kommunikation zu stärken und ein respektvolles, offenes Miteinander im Arbeitsalltag zu fördern.

Interview: "Offenheit und Respekt"

Interview mit Dirk Bratschedl (Supervisor in Leipzig). Er leitet Kollegenseminare zum Thema Hörbehinderung.

Was sind die wichtigsten Punkte für eine gute Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung beziehungsweise Hörbeeinträchtigung?
Eine gute Zusammenarbeit beginnt mit Offenheit und gegenseitigem Respekt. Vorurteile müssen abgebaut und auf Augenhöhe kommuniziert werden. Gerade bei Hörbeeinträchtigungen spielen klare, verständliche Kommunikation und geduldiger Austausch eine große Rolle. Dazu gehört auch, sich nicht davor zu scheuen, nachzufragen oder um Wiederholung zu bitten – das zeigt Interesse, nicht Unsicherheit. Ebenso entscheidend ist es, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass alle gut arbeiten können – das kann durch technische Hilfsmittel, barrierefreie Strukturen oder flexible Arbeitszeiten geschehen. Um das festzulegen, sind die Kollegenseminare super.

Wie können die Beschäftigten mit Behinderung von den Kollegenseminaren profitieren?
Kollegenseminare bieten die Möglichkeit, sich in einem geschützten Rahmen mit dem Team auszutauschen. Im Seminar können eigene Bedürfnisse kommuniziert und gemeinsam Lösungen für den Arbeitsalltag entwickelt werden. Mitarbeitende mit einer Hörbeeinträchtigung können von Kollegenseminaren vor allem dadurch profitieren, dass hier ihre Beeinträchtigung Arbeitsgegenstand ist. Sie fühlen sich mit ihrer Beeinträchtigung und ihren damit einhergehenden Bedürfnissen häufig besser gesehen und verstanden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für ihre aktive Beteiligung an der Suche nach Verbesserungen in kritischen Situationen im Arbeitsalltag.

Und wie profitieren die Mitarbeiter ohne Behinderung?
Wenn es gelingt, die Beeinträchtigung im Arbeitskontext unparteiisch darzustellen und auf mögliche Verbesserungen hin mit allen Beteiligten zu diskutieren, können Mitarbeitende ohne Hörbeeinträchtigung vor allem dadurch profitieren, dass sie danach mehr über diese Beeinträchtigung wissen und im Arbeitsalltag, z. B. bei „Tür-und-Angel-Gesprächen“ mit ihren hörbeeinträchtigten KollegInnen, ihr Kommunikationsverhalten bewusster wahrnehmen und entsprechend anpassen.

Haben Sie Tipps?
Im Arbeitsalltag sollten auch kurze Gespräche zwischen „Tür und Angel“ möglichst in einer ruhigen Ecke und mit gutem Blickkontakt stattfinden. Das signalisiert Rücksichtnahme und Interesse an einer gelingenden Kommunikation. Bei Dienstgesprächen, Mitarbeiterversammlungen u. Ä. sollten FM-Anlagen (eine Zusatzhilfe für Hörgeräte- oder Cochlea-Implantat-Träger) genutzt werden, da so der Redner besser verstanden wird. Und bei gebärdensprachlich orientierten KollegInnen (i. d. R. gehörlos) sollte unbedingt an GebärdensprachdolmetscherInnen gedacht werden. Das erfordert zwar mehr Organisation und in der Durchführung auch mehr Gesprächsdisziplin, aber im Ergebnis ermöglichen diese Bedingungen eine echte Beteiligung hörbeeinträchtigter MitarbeiterInnen. Wenn hörbeeinträchtigte MitarbeiterInnen in Diskussionsrunden Einwände, Fragen oder Vorschläge einbringen und sich an Entscheidungsprozessen aktiv beteiligen, wäre das Ausdruck einer guten Zusammenarbeit.

Haben Sie noch ein kleines Beispiel, eine Anekdote aus Ihrer Praxis für uns?
Eine praktisch taube junge Frau, beschäftigt im Küchenbereich, hatte erhebliche Kommunikationsprobleme. Sie war daran gewöhnt, das gesprochene Wort mit ihren älteren Hörgeräten zu hören. Sie verstand damit aber nur sehr wenig und zugleich hatte sie Hemmungen, auf ihre Kommunikationsbedürfnisse aufmerksam zu machen. Ihre hörenden KollegInnen mochten und schätzten sie, hatten jedoch für eine bessere Kommunikation zu wenig Feedback von ihr. Durch das Seminar hatten die hörenden KollegInnen eine bessere Vorstellung davon, was ihre hörbeeinträchtigte Kollegin mit ihren Hörgeräten im Küchenbetrieb eigentlich noch hören konnte. Es bestand bald Einigkeit darüber, wo und wie die Kommunikation verbessert werden konnte (= in Schwerpunktsituationen, Anregung einer mit einfachen Gebärden unterstützten Kommunikation und einer Überprüfung der aktuellen Hörversorgung). Für die junge hörbeeinträchtigte Kollegin bedeutete das Seminar zudem eine große Entlastung.

Weitere Artikel dieser Ausgabe

Das könnte Sie auch interessieren


Editorial

Editorial

Die Gründung einer Inklusionsabteilung erleichtert es Unternehmen, Menschen mit Behinderung einzustellen.

Ein Arbeiter vermisst eine Metallleiste in einer Werkstatt.
Schwerpunkt

„Wir sehen großes Potenzial“

Die Gründung einer Inklusionsabteilung erleichtert es Unternehmen, Menschen mit Behinderung einzustellen. Davon profitieren alle Beteiligten, wie das mittelständische Unternehmen Großewinkelmann im ostwestfälischen Rietberg zeigt.

Eine bunte Collage.
Schwerpunkt

Die Regel, nicht die Ausnahme!

Inklusionsbetriebe gelten oft als vorbildlich und als Beispiele guter Praxis sowohl was Innovationen, Betriebsklima oder Kundenbindung angeht. Wir stellen Ihnen hier eine Reihe von Betrieben vor – die Auswahl ist uns nicht leichtgefallen!