Ein Auszubildener an einer Industriesäge

„Tagtäglich gelebte soziale Marktwirtschaft“

Ulrich Adlhoch ist erster Vorstandsvorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen (BAG IF). Der ehemalige Leiter des Inklusionsamtes Arbeit des LWL in Münster brennt für sein Ehrenamt und erklärt überzeugend, warum Inklusionsbetriebe für alle Menschen ein Gewinn sind. Wir trafen ihn zum Gespräch.

Zur Person

Ulrich Adlhoch ist aktuell Vorsitzender der BAG IF und war bereits seit 2017 Vorsitzender des Fachpolitischen Beirats. Vor seinem Ruhestand leitete er das LWL-Inklusionsamt Arbeit und ist auch ehemaliger Vorsitzender der BIH. Der Jurist Adlhoch hat einen Kommentar zum SGB IX mit herausgegeben und gilt als Experte im Bereich der Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Ein Porträtfoto das Ulrich Adlhoch zeigt.

Herr Adlhoch, was macht Inklusionsbetriebe besonders?

Inklusionsbetriebe nehmen in der deutschen Unternehmenslandschaft eine Sonderstellung ein, weil sie wirtschaftliches Handeln mit einem klaren sozialen Auftrag verbinden. Sie sind reguläre Unternehmen, die am freien Markt tätig sind – sei es in der Gastronomie, im Handwerk, im Handel oder im Dienstleistungssektor. Der zentrale Unterschied: 30 bis 50 Prozent der Belegschaft sind Menschen mit Schwerbehinderung. Diese Betriebe schaffen damit sozialversicherungspflichtige, tariflich oder ortsüblich bezahlte Arbeitsplätze für Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt häufig übersehen oder ausgeschlossen werden.

Was sie besonders macht: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten selbstverständlich zusammen. Das ist gelebte Inklusion, nicht bloß ein Schlagwort. Inklusionsunternehmen zeigen, dass es möglich ist, soziale Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg zu verbinden. Die BAG IF hat das auch in einer Studie untersuchen lassen. Diese Studie „Mehr Wirkung inklusive“ zeigt, wie Inklusionsbetriebe in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten nicht nur bestehen können, sondern oft sogar besonders resilient sind und zudem gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

 

Was wären denn weitere Mehrwerte für Unternehmerinnen und Unternehmer, die überlegen, sich als Inklusionsunternehmen aufzustellen?

Unternehmen, die Inklusion ernsthaft umsetzen, haben gleich mehrere Pluspunkte. Das gilt nicht nur, aber besonders für Inklusionsbetriebe. Zum einen positionieren sie sich als sozial verantwortliche Arbeitgeber. In einer Zeit, in der Werteorientierung, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung wichtig sind für Kunden, Mitarbeitende und Investoren, ist das ein echter Gewinn. Er steigert nicht nur das Image, sondern auch die Arbeitgeberattraktivität – gerade im Wettbewerb um Fachkräfte.

Zum anderen profitieren sie von einer hohen Mitarbeiterbindung. Menschen mit Schwerbehinderung erleben oft zum ersten Mal echte Teilhabe und bringen deshalb überdurchschnittlich hohe Motivation und Loyalität mit. Das wirkt sich positiv auf das gesamte Arbeitsklima und die Produktivität aus. Unsere Studie belegt, dass Inklusionsunternehmen eine signifikant geringere Fluktuation und eine stärkere Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen aufweisen. Auch die Kundenzufriedenheit ist bei Inklusionsunternehmen oft höher als bei regulären Betrieben.

Ein weiterer Vorteil liegt in der Innovationskraft. Unterschiedliche Perspektiven – insbesondere, wenn sie aus vielfältigen Lebenserfahrungen stammen – führen nachweislich zu kreativeren Lösungen. Inklusion fördert also auch unternehmerische Agilität und Innovationsfreude.

 

Welche Vorteile haben Mitarbeitende in Inklusionsunternehmen?

Für die Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung sind die Zahlen laut unserer Studie sehr deutlich: 80 Prozent sagen, dass sie ihre Chancen im Betrieb als gleich zu Mitarbeitenden ohne Behinderung wahrnehmen. 83 Prozent geben an, dass ihre finanzielle Situation sich verbessert hat, 60 Prozent, dass auch ihre gesundheitliche Situation sich verbessert hat. Die Befragten sagen, dass sie zufriedener im Leben sind – nicht nur im Arbeiten – und ihr Selbstvertrauen gestiegen ist. Sie nehmen sich als selbstwirksam wahr.

Ein spannender Aspekt, der häufig übersehen wird: Auch Mitarbeitende ohne Behinderung profitieren stark von der Arbeit in einem inklusiven Umfeld. In der Studie wurde deutlich, dass sie ein ausgeprägteres Wirgefühl empfinden, ein größeres Maß an Kollegialität und Solidarität erleben und stolz auf die gesellschaftliche Wirkung ihrer Arbeit sind.

Viele berichten, dass sich durch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung ihr Blick auf Vielfalt, auf Leistungsfähigkeit und auf den Wert von Arbeit verändert hat. Es entstehen gegenseitiger Respekt und ein wertschätzendes Miteinander, das über die reine Arbeitsbeziehung hinausgeht. Auch Führungskräfte entwickeln neue Kompetenzen im Umgang mit Diversität, was ihnen nicht nur im Unternehmen, sondern mitunter auch persönlich zugutekommt.

Nicht zu unterschätzen ist der Sinnaspekt: Viele Menschen suchen heute nach Tätigkeiten, die mehr sind als „nur ein Job“. Inklusionsunternehmen bieten ein Arbeitsumfeld, in dem das tägliche Tun sichtbar Wirkung entfaltet – das motiviert.

 

Und wie wirken sich Inklusionsunternehmen auf die Gesellschaft aus?

Da gibt es einige Punkte! Inklusionsunternehmen zeigen, wie Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt funktionieren kann – und das ganz ohne Sonderwelten.

Sie entlasten auch die Sozialsysteme: Jeder Arbeitsplatz, der in einem Inklusionsunternehmen geschaffen wird, bedeutet weniger Arbeitslosigkeit, mehr Steuereinnahmen und höhere soziale Teilhabe. Inklusion am allgemeinen Arbeitsmarkt ist insoweit kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das lässt sich auch ganz real in Zahlen ausdrücken, hier empfehle ich einen Blick in unsere Studie! Von jedem Euro Förderung fließen 1,86 € zurück in die Sozialversicherung und den Steuersäckel.

Inklusionsbetriebe sind Teil der Zivilgesellschaft, sie richten sich explizit gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Das ist in unserer heutigen Zeit ein großes Plus für die Demokratie.

Ein wichtiger Punkt, den die Studie „Mehr Wirkung inklusive“ hervorhebt, ist die Multiplikatorenwirkung. Inklusionsunternehmen inspirieren andere Unternehmen, ähnliche Wege zu gehen. Sie wirken als Vorbilder für eine neue Unternehmenskultur, in der wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig stärken.

 

Was würden Sie sich für die Zukunft der Inklusionsunternehmen wünschen?

Ich wünsche mir, dass Inklusionsunternehmen noch sichtbarer werden – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Es braucht stärkere strukturelle Förderung, verlässliche Rahmenbedingungen und vor allem Anerkennung für die doppelte Leistung, die diese Unternehmen erbringen. Und ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft erkennen: Inklusion ist kein Nischenthema. Sie ist eine Frage von Gerechtigkeit, Fortschritt und Menschlichkeit – und damit im besten Sinne eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

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