Ein Fernglas das von zwei Händen gehalten wird.

„Wir haben einen eingebauten Perspektivenwechsel“

Warum lohnt es sich unter Umständen, ganz besonders Autisten anzustellen? Antworten darauf gibt Aleksander Knauerhase, Autor, Referent und selbst Betroffener.

Herr Knauerhase, Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung gelten bei vielen Arbeitgebern als schwierig. Nur ein Vorurteil?

Autisten haben eine andere Wahrnehmung. Wir haben so was wie einen eingebauten Perspektivenwechsel. Das kann irritieren. Aber oft hilft so eine Perspektive von außen, Dinge wieder in Gang zu bringen. Also ich glaube, diese andere Perspektive ist definitiv eine Chance und eine Bereicherung.

Sollen Bewerber darauf hinweisen, dass sie diese andere Perspektive haben?

Ich rate Betroffenen immer dazu, offen damit umzugehen und einfach zu kommunizieren, was auf einen Arbeitgeber zukommen kann, was es für Besonderheiten oder vielleicht an Eigenheiten gibt.

Arbeitgeber sollten sich also nicht von Vorurteilen oder Befürchtungen leiten lassen?

Letztendlich geht ganz, ganz viel Potenzial verloren, wenn man als Arbeitgeber Autisten nur aufgrund des Autismus außen vor lässt. Weil man vielleicht Ängste hat, weil man Befürchtungen hat. Ein großer Anteil der Autisten, die auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten könnten, sind arbeitslos, aber hoch qualifiziert durch Ausbildung oder Studium.

Womit können Menschen mit Autismus denn im Job punkten?

Wir sind sehr zuverlässig und sehr genau in dem, was wir tun. Also, man kann sich im Normalfall, wenn die Aufgabenstellungen klar sind, sehr gut auf die Arbeitskraft des Autisten verlassen und man hat im Regelfall keinen Arbeitnehmer, der dazu neigt, sich alle drei Jahre nach einem neuen Arbeitsplatz umzuschauen. Die Beständigkeit ist tatsächlich ein großer Vorteil und die Genauigkeit in der Arbeit. Wenn man mit Weiterbildungen und mit Förderungen in den Arbeitnehmer investiert, kann man als Arbeitgeber lange von dessen Kompetenzen profitieren.

Stimmt eigentlich das Klischee, dass Autisten besonders im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ihre große Domäne haben?

Also ich entspreche dem Klischee nicht. Natürlich, Mathematik ist in sich sehr logisch und sehr genau, und das kann autistischen Menschen entgegenkommen. Aber letztendlich sind die Talente bei autistischen Menschen genauso breit gestreut wie bei anderen Menschen auch. Es gibt auch viele Autisten, die kreativ oder im sozialen Bereich tätig sind. Das ist vielfältiger, als man vielleicht denken mag.

Menschen mit Autismus gelten als kontaktscheu. Wie kann man autistische Kollegen in ein Team integrieren?

Wir haben manchmal das Problem, selber die Kommunikation anzustoßen. Da kann es hilfreich sein, wenn jemand zum Beispiel sagt, willst du mitkommen zum Mittagessen - als Angebot. Oder zum Betriebsfest. Von daher finde ich einen festen Ansprechpartner, der sich wirklich auch um solche Dinge kümmert, super wichtig.

Brauchen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit Autismus besondere Arbeitsbedingungen?  Zum Beispiel Homeoffice oder einen besonders ruhigen Arbeitsplatz?

Das ist wieder sehr individuell. Womit man sehr viel Positives erreichen kann, sind flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitmodelle, mit denen man ein bisschen offen ist. Ein Autist kann unter Umständen nicht unbedingt diesen klassischen Nine-to-five-Job machen. Er kann aber mit einem abgespeckten Teilzeitmodell unter Umständen mehr Leistung bringen als in einem Fulltime-Job. Wenn er etwa keine 40 Stunden die Woche arbeiten muss, sondern vielleicht nur 35 oder weniger, eventuell einen Tag die Woche freihat, um sich erholen zu können, also nicht um Party zu machen, sondern tatsächlich für die Erholungszeit. Da muss man einfach gucken: Was ist in den Unternehmen möglich?

Wir haben jetzt viel über die Arbeitgeberperspektive gesprochen. Was bedeutet Arbeit zu haben für autistische Arbeitnehmer?

Der richtige Arbeitsplatz kann einen Menschen aufblühen lassen: Ich kann etwas beitragen. Es hat einen Sinn, dass ich arbeite. Ich kann was bewirken. Das kann durchaus eine Zeit dauern und die sollte man dem Menschen und auch dem Team geben. Letztendlich bieten Autisten mit ihren vielleicht am Anfang besonders erscheinenden Bedürfnissen durchaus auch die Chance, Dinge für viele Arbeitnehmer in denselben Rahmenbedingungen zu verbessern, und dann profitieren alle davon.

Das Interview führte Monika Kleusch.

 

Zur Person

Aleksander Knauerhase wurde im Alter von 35 Jahren als Autist diagnostiziert. Als Experte erschließt er mit seinen Seminaren, Vorträgen und Publikationen die Welt von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung für unterschiedliche Zielgruppen. Er berät auch Unternehmen bei Fragen zu Autismus.

https://aleksander-knauerhase.de/

Fachforum Autismus im Dialog

Der Inklusions- und Integrationsfachdienst (IFD) Böblingen lud im Mai wieder zu einem Forum Arbeit und Behinderung für betriebliche Partner ein. Dieses Mal im Fokus: die Beschäftigung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Das Forum fand bei der Mercedes Benz AG in Sindelfingen statt. Für die Veranstaltungsreihe stellt immer ein anderes Unternehmen Räume zur Verfügung.

Zur Expertenrunde begrüßte Eckhard Kleemann, Teamleiter des IFD Böblingen, Andreas Croonenbroek, Gründer eines Kreativ-Büros für multimediales Design, Corporate Publishing, Marketing und Redaktion, Aleksander Knauerhase, Autor und Referent, sowie Ruth Grass von der Fach- und Koordinierungsstelle Autismus im Landkreis Reutlingen. Knauerhase und Croonenbroek gehören zum Personenkreis der Menschen mit Autismus.

Andreas Croonenbroek betonte, dass in der Arbeit mit autistischen Menschen konkrete Ansagen und klare Kommunikation wichtig sind. Für Aleksander Knauerhase liegt der Vorteil für Arbeitgeber von oft hoch qualifizierten Autisten in deren anderen Sicht auf die Dinge, in großer Zuverlässigkeit und langer Betriebstreue.

Ruth Grass sprach die Probleme mancher Personen mit Autismus im Umgang mit anderen Menschen an. So wäre es zwar unüblich, aber unter Umständen hilfreich, wenn bei einem Vorstellungsgespräch eine Vertrauensperson des Bewerbers oder der Bewerberin dabei wäre. Hier könnte die Schwerbehindertenvertretung eines Unternehmens schon im Vorfeld beraten.

In der Plenumsdiskussion zeigte sich außerdem, dass viele Betroffene teils schon im Kindesalter versuchen würden, sich an erwünschte Verhaltensweisen anzupassen, ohne sie für sich nachvollziehen zu können. Diese „maskieren“ genannte Verhaltensanpassung koste sehr viel Kraft. So können gemeinsame Pausen im Kollegenkreis nicht unbedingt erholsam sein.

Der große Andrang beim Fachforum Autismus im Dialog zeigt, dass es großen Informationsbedarf zum Thema Autismus gibt, besonders bei Inklusionsbeauftragten und Schwerbehindertenvertretungen. Eckard Kleemann versprach, dass der IFD Böblingen das Thema weiterverfolgen wird: „Das muss man verstetigen.“ Geplant ist, ein Online-Seminar zum Thema anzubieten.

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Arbeitsplatz

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