Wahl der SBV bei weniger als 5 Wahlberechtigten

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mueller-si
Beiträge: 2
Registriert: Freitag 23. September 2022, 08:52

Wahl der SBV bei weniger als 5 Wahlberechtigten

Beitrag von mueller-si »

Hallo,
im Zuge der anstehenden SBV-Wahl hat sich herausgestellt, dass durch Abstufung des GdB eines Kollegen auf GdB30 ohne Gleichstellung die Anzahl der Wahlberechtigten unter 5 gefallen ist, so dass aus Sicht der aktuellen Rechtssprechung nach meinem Verständnis die SBV-Amtszeit somit endet (31.08.2021, Aktenzeichen 4 TaBV 19/21 LAG Köln, Pressemitteilung vom 02.11.2021). Somit wäre entsprechend auch die Neuwahl einer SBV hinfällig.

Nun habe ich aber auf einer Internetseite gelesen, dass der Arbeitgeber laut Gesetz ja 5% seiner Arbeitnehmer mit (schwer-)behinderten Mitarbeitern besetzen muss, und daher ab einer Betriebsgröße von 100 Mitarbeitern eine SBV gewählt werden muss. Ist das richtig?

Grundsätzlich ist der Betriebsrat daran interessiert, auch unterhalb des Schwellwerts weiterhin eine SBV im Unternehmen zu haben.

Vielen Dank schon einmal!
matthias.günther
Beiträge: 270
Registriert: Mittwoch 2. Mai 2012, 14:41

Re: Wahl der SBV bei weniger als 5 Wahlberechtigten

Beitrag von matthias.günther »

dass der Arbeitgeber laut Gesetz ja 5% seiner Arbeitnehmer mit (schwer-)behinderten Mitarbeitern besetzen muss, und daher ab einer Betriebsgröße von 100 Mitarbeitern eine SBV gewählt werden muss. Ist das richtig?
Hallo,

nein. Die Pflichtquote ist maßgebend für die Erhebung der Ausgleichsabgabe.
Für die Einleitung der SBV-Wahl sind zwingend mind. 5 schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Beschäftigte im Betrieb erforderlich, abgesehen vom Sonderfall der Zusammenlegung.
Wenn es 100 Beschäftigte gibt, aber die 5 sbM/Gl. nicht erreicht wird, kann also keine SBV gewählt werden.

Achtung: Während der Schutzfrist nach § 199 Abs. 1 SGB IX zählt der Kollege
a) noch mit zu den Wahlberechtigten, vgl. auch aktuelle Wahlbroschüre der BIH, S. 45 vorletzte Zeile der Tabelle.
b) zählt auch mit zu der o. g. Mindestzahl 5 für die Einleitung der Wahl, vgl. auch aktuelle Wahlbroschüre der BIH, S. 63 (Tabelle)

Hier also genau auf den Ablauf der Nachfrist/Schutzfrist einerseits und die Fristen im jeweiligen Wahlverfahren achten.

Vielleicht findet sich ja auch noch ein Beschäftigter, der sich bisher nicht "geoutet" hat.
mueller-si
Beiträge: 2
Registriert: Freitag 23. September 2022, 08:52

Re: Wahl der SBV bei weniger als 5 Wahlberechtigten

Beitrag von mueller-si »

Hallo,

vielen Dank für die schnelle Rückmeldung, die ich so schon erwartet hatte. Sehr hilfreich ist für mich aber der Hinweis auf die Fristen. Könnten Sie mir den Link zur Broschüre nennen? Es stehen so viele Informationen zur Verfügung (super!), dass ich nicht genau weiß, auf welche Sie sich beziehen. Danke nochmal!

Hab's gefunden: https://www.bih.de/fileadmin/user_uploa ... 022_ua.pdf
jada.wasi
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Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

Absinken der sbM auf unter fünf im Betrieb?

Beitrag von jada.wasi »

Hallo zusammen,

ArbG Köln und LAG Köln haben LAG Niedersachsen, 20.08.2008 - 15 TaBV 145/07, offenbar nur unkritisch „nachgeplappert“ – trotz entgegenstehender Literatur aus_den 70-er und 90-er Jahren: Diese ministerielle Fachliteratur wurde ausgeblendet bzw. ignoriert und betriebsverfassungsrechtlich argumentiert, völlig am Thema_vorbei. Das SGB IX ist (wie SchwbVWO) ein eigenständiges wahlrechtliches Regelungswerk (laut Ansicht BAG vom 23.07.2014, 7 ABR 61/12). Auf die Frage_der Organfähigkeit beim Betriebsrat kommt‘s demnach gleichfalls bei der SBV nicht an (entgegen Fehlbeschluss des LAG Niedersachsen).

Über die Rechsbeschwerde gegen das zitierte LAG Köln, 31.08.2021, 4 TaBV 19/21, verhandelt das BAG - 7 ABR 27/21 demnächst am 19.10.2022. Siehe auch hier diese Diskussion zum Absinken auf unter 5 sbM. Zumindest Begründung des LAG Köln erscheint teils abenteuerlich, geradezu wirr und völlig daneben sein „Rechtsvergleich“ sowie das frei erfundene „Gleichlaufprinzip“ - gegen hM, wonach eine örtliche SBV eben nicht die Existenz eines örtlichen Betriebsrates voraussetzt (gemäß § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Ebenso schon Ministerialrat Cramer, BMAS, SchwbG, 5. Aufl. 1998, § 24 Rn. 2: „anders als in § 1 BetrVG und § 12 Absatz 1 BPersVG kommt es nicht darauf an, dass diese Voraussetzungen „in der Regel“ vorliegen“, sowie Rn. 16: „nicht jedoch mit dem Absinken der zur Wahl eines VM/VF nach Absatz 1 erforderlichen Mindestzahl im Laufe der Amtszeit unter die Zahl fünf (ebenso Zanker, BehindR 1978,_31 mwN)“. Den v. LSG Köln, Rn. 44, aufgestellten Rechtssatz, wonach laut „§ 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die dauernde Beschäftigung von wenigstens fünf sbM oder Gleichgestellten Voraussetzung für die Wahl der SBV“ sei, gibt es demnach nicht nach Dr. Cramer sowie Zanker. Aus Begriff: „nicht nur vorübergehend beschäftigt“ folgt nicht, dass ein Amt „vorzeitig“ erlösche, wenn nicht durchgängig und lückenlos vier Jahre mindestens fünf sbM im Betrieb beschäftigt sind. Es geht gerade nicht (wie beim BR) um „ständig“ wahlberechtigte Regelbeschäftigte entspr. dem § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Hier gehts aber entgegen dem Vorbericht des BAG nicht um eine Amtszeit von 4 Jahren, sondern um ca. drei Jahre, da apl. Wahl am 13.11.2019.

Näheres zur erwähnten „Nachwirkungsfrist“ (Schutzfrist) gemäß § 199 Abs. 1 und 2 SGB IX siehe hier im Forum und VdK ausführlich mit Beispielen. Gruß Jada Wasi
jada.wasi
Beiträge: 321
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

BAG zum Absinken der sbM auf unter fünf

Beitrag von jada.wasi »

BAG vom 19. Oktober 2022 - 7 ABR 27/21
zur Fortdauer der Amtszeit

Sinkt die Anzahl der in einem Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen während der laufenden Amtszeit einer Schwerbehindertenvertretung auf unter fünf, endet das Mandat des Organs nicht automatisch.

Hallo zusammen,

das BAG hat heute erwartungsgemäß den in der Literatur scharf kritisierten haltlosen Fehlbeschluss des LAG Köln, 31.08.2021, 4 TaBV 19/21, aufgehoben. Danach ist die im Nov. 2019 (außerplanmäßig) gewählte SBV noch bis zum Ablauf des 30.11.2022 im Amt. Gruß Jada Wasi

BAG-Sitzungsergebnis (Beschluss)
Auf Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 31. August 2021 – 4 TaBV 19/21 – aufgehoben.
Auf Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10. März 2021 – 20 BV 134/20 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Schwerbehindertenvertretung im Amt ist.

BAG-Pressemitteilung vom 19.10.2022
SBV-Fortbestand bei Absinken der Anzahl der
schwerbehinderten Beschäftigten „unter fünf“

„Die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten. Sie wird nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX*) ua. in Betrieben mit wenigstens fünf – nicht nur vorübergehend beschäftigten – schwerbehinderten Menschen für eine Amtszeit von regelmäßig vier Jahren gewählt. Sinkt die Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf, ist das Amt der Schwerbehindertenvertretung nicht vorzeitig beendet.

In dem Kölner Betrieb einer Arbeitgeberin mit ungefähr 120 Mitarbeitern wurde im November 2019 eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Zum 1. August 2020 sank die Zahl der schwerbehinderten Menschen in diesem Betrieb auf vier Beschäftigte. Die Arbeitgeberin informierte die Schwerbehindertenvertretung darüber, dass sie nicht mehr existiere und die schwerbehinderten Beschäftigten von der Schwerbehindertenvertretung in einem anderen Betrieb vertreten würden.

In dem von ihr eingeleiteten Verfahren hat die Schwerbehindertenvertretung des Kölner Betriebs die Feststellung begehrt, dass ihr Amt nicht aufgrund des Absinkens der Anzahl schwerbehinderter Menschen im Betrieb vorzeitig beendet ist. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Amt der Schwerbehindertenvertretung ist nicht vorzeitig beendet. Eine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter unter den Schwellenwert nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorsieht, besteht im Gesetz nicht. Eine vorzeitige Beendigung der Amtszeit ist auch nicht aus gesetzessystematischen Gründen oder im Hinblick auf Sinn und Zweck des Schwellenwerts geboten.“

Bundesarbeitsgericht vom 19. Oktober 2022 – 7 ABR 27/21
Vorinstanz: LAG Köln vom 31. August 2021 – 4 TaBV 19/21
jada.wasi
Beiträge: 321
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

BAG zum Absinken der sbM auf unter fünf

Beitrag von jada.wasi »

BAG vom 19.10.2022 – 7 ABR 27/21
Besprechung von Sdorra und Kohte.
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