Präventionsverfahren in Wartezeit?

annette.rosenberg
Beiträge: 159
Registriert: Montag 6. Februar 2012, 14:36

BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24, Gründe I.8.

Beitrag von annette.rosenberg »

Artikel 27 UN-BRK
Artikel 5 RL 2000/78/EG

BAG, 24.01.2008 - 6 AZR 96/07 ­ ­ (= ÖD)
BAG, 21.04.2016 - 8 AZR 402/14 (= ÖD)
BAG, 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 (≠ ÖD)

BAG hat geschrieben:Einer unionsrechtlichen Richtlinie - hier: der Richtlinie 2000/78/EG - kommt gegenüber Privaten keine unmittelbare Wirkung zu.
[BAG, 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 – I.8]
Der Volltext des BAG, 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 – wurde nun veröffentlicht. Für den öffentlichen Dienst von Interesse erscheinen die Gründe I.8. in Rn. 25 zur UN-BRK sowie zur unionsrechtlichen Richtlinie 2000/78/EG zu angemessenen Vorkehrungen. Damit hat sich das LAG Baden-Württemberg – 10 Sa 31/24, in einer anstehenden Berufung zu befassen.
|Zum Thema vgl auch Prof. Dr. Wietfeld, RdA 1/2025, Seite 49-54: „Präventionsverfahren und Betriebliches Ein­glie­de­rungs­­ma­na­ge­ment innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG“; Prof. Düwell, Gute Arbeit, 4/2025, 37, Prävention und Teilhabe, Titel: „Präventionsverfahren: Was gilt in der Wartezeit?“ Ob LAG BW hier BAG folgen mag oder EuGH vorlegt - wie m.E. geboten - bleibt abzuwarten: Laut BAG-Gründe I.4 in Rn. 32 soll dem Beschäftigten die gesamte Darlegungslast angemessener Vorkehrungen aufgebürdet werden, die Betroffene gar nicht wissen können und die im Präventionsverfahren „zu erörtern“ gewesen wären: Dieser Neue in der Wartezeit hat schließlich nichtmal ansatzweise Überblick im Gesamtbetrieb wie etwa BR sowie SBV. Dies erscheint weder ausgewogen und fair noch gerecht, also klärungsbedürftig durch den EuGH . Zur Verletzung einer Vorlagepflicht an EuGH vgl. bspw. BVerfG, 08.11.2023 - 2 BvR 1079/20, welches den BFH (bzw. das BMF) gehörig „abwatschte“ wg. Nichtvorlage, wonach niemand seinem gesetzl. Richter entzogen werden darf. Das BAG darf nicht Gesetzgeberspielen“ lt. BVerfG und nicht den hier „klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers übergehen“ (vergl. BVerfG vom 0606.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) bzw. aushebeln in § 167 Abs. 1 und 2 SGB IX.

Hätte der Gesetzgeber etwa für Arbeitnehmer was anders gewollt (wie von BAG-Senaten unterstellt), dann hätte das der Gesetzgeber in § 84 SGB IX 2001 und § 167 SGB IX 2016 auch reinschreiben müssen, dass zB Prävention für sbM sowie BEM erst nach 6 Monaten obligat anzubieten seien. Beides hat er jedoch gerade nicht getan! Dieselbe Überlegung gilt für die Frage, ob BEM für Kleinstbetriebe verpflichtend. Anders als zum Beispiel in Kanada gibt‘s in Deutschland eben keine gesetzliche Vorgabe, dass BEM beispw. erst ab 25 Beschäftigte oder über 5 oder 10.

BAG: Zweiter Senat „fabuliert“
Das beliebte „Argument“, wonach Gesetzgeber die BAG-Rechtsprechung »in seinen Willen« aufgenommen habe, besagt nichts und ist ohnehin nicht zwingend. Denn wenn auch nur ein einziger der zwei oder drei Koalitionäre nicht mag (z.B. FDP mit unter zwölf Prozent 2021 oder CSU mit sechs Prozent 2025 bundesweit), so läuft eben bekanntlich insoweit nichts, gar nichts: Dieser Senat ar­gu­mentiert daher geradezu an politischen Realitäten vorbei beziehungsweise „fabuliert“ teils bei seiner historischen Auslegung: Das ist eher juristische Kaffeesatzleserei (unzulässige beliebige Schlussfolgerung) jedenfalls für Frage, ob Prävention und BEM ab dem ersten Tag der Beschäftigung oder nicht. Das hat mit Willen des Gesetzgebers rein gar nichts zu tun.

Den insoweit fundierten Gründen des LAG Köln, 12.09.2024 – 6 SLa 76/24 – Gründe II.5.e mwN – gebührt klarer Vorzug ggü. den drei nur wenig überzeugenden o.g. BAG-Senaten.

Viele Grüße
Annette
annette.rosenberg
Beiträge: 159
Registriert: Montag 6. Februar 2012, 14:36

BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24

Beitrag von annette.rosenberg »

Angemessene Vorkehrung:
Das BAG hat in Rn. 26 ausdrücklich offengelassen, welche Rechtsfolgen das Nichtergreifen angemessener Vor­keh­run­gen haben kann: Für die Entlassung von Proberichterinnen wurde das vom BGH-Dienstgericht längst höchstrichterlich geklärt schon vor Jahrzehnten! Inhaltliche Änderungen der damaligen Prävention lt. § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. erfolgten seither offensichtlich nicht, also identisches Recht in § 167 Abs. 1 SGB IX aktuelle Fassung. Ebenso auch das BAG, 19.12.2013, 6 AZR 190/12 – und zwar für Unternehmen.

Sonstiges Beschäftigungsverhältnis
Im Übrigen verkennt dieser Zweite Senat des BAG in seiner Argumentation offenbar, dass es bei Prävention nicht nur um Arbeitnehmer geht, sondern selbstverständlich z.B. auch um Beamte und Richter, bei denen das KSchG überhaupt nicht einschlägig ist: Eine ans KSchG „anknüpfende“ Norm ist für Beamte und Richter:innen natürlich sinnlos, zumal regel­mä­ßig viel viel längere Probezeiten dieser „Beschäftigten“ von mehreren Jahren laut KI sowie Wikipedia, und es ohnehin bekanntlich für Beamte und Richter keine solche Wartezeit von „sechs Monaten“ gibt - oder etwa doch!? Dieser § 167 SGB IX erfasst ganz zweifelsfrei auch öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse („sonstiges Beschäftigungsverhältnis“) laut allgemeiner Ansicht und nicht nur Arbeitsverhältnisse Man darf auf die Urteilsbesprechungen zu den einzelnen BAG-Gründen sowie seiner „Rechtsfortbildung“ gespannt sein, weil am Text des § 167 SGB IX teils weit vorbei. Im Besonderen hat der BGH moniert, dass die Prävention zu spät erfolgte – demnach nicht bereits in den ersten sechs Monaten wie geboten.

Vollends wirr, widersprüchlich bzw. nicht nachvollziehbar, dass bei Prävention für Arbeitnehmer lt. § 167 SGB IX die von BAG-Senaten konstruierten Einschränkungen gelten sollen (erst nach 6 Monaten und ab 6 Beschäftigte), nicht aber für Beamte und Richter nach § 167 SGB IX laut BGH sowie nicht für die Pflichten gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX - obwohl sich diese Normen in ein und demselben Kapitel 3 („Sonstige Pflichten“) befinden! Dass sich einzelne BAG-Senate gerne ihre Fristen „zurechtlegen“ – am sehr klaren Gesetzeswortlaut vorbei (so z.B. BAG, 01.03.2007, 2 AZR 217/06: pauschal 3 Wochen statt differenziert laut SGB IX), ist in Literatur auf scharfe Kritik gestoßen (vgl. nur Düwell, LPK-SGB IX, § 173 Rn. 43; Gagel, Fachbeitrag B10/2008, und Etzel, in KR, 9. Aufl. 2009, SGB IX §§ 85-92 Rn. 53.1, wonach BAG-Konzeption nicht mit Wortlaut vereinbar“).
|Ferner auch die frei erfundene 3-Jahres-Frist des Siebten Senats zum TzBfG, weil klar verfassungswidrig lt. BVerfG und offensichtliche Kompetenzüberschreitung des BAG – dem zu Recht mehrere Kammern u. a. des LAG BaWü die_Gefolgschaft verweigerten.

WISSENSCHAFTLICHER DIENST
Das LAG Köln, 12.09.2024 - 6 SLa 76/24, hatte u.a. aus Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 10.02.2022 – C-485/20 – HR Rail) eine Arbeitgeberpflicht abgeleitet, bereits in der Probezeit das Verfahren lt. § 167 Abs. 1 SGB IX anzubieten. Revisionstermin (03.04.2025) wurde aufgehoben vom BAG – 2 AZR 271/24. Vergl. dazu Wissenschaftliche Dienste Nr. 18/25, 06.06.2025, Aktuelle Rechtsprechungen zum Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX (WD Nr. 18/25, Deutscher Bundestag). Ob Revision noch anhängig, wie vom WD unterstellt, ist aber fraglich, da Revisionstermin ja beim BAG gecancelt, weil Kläger zuvor verstorben sei.

Viele Grüße
Annette
jada.wasi
Beiträge: 539
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

LAG BaWü - 10 Sa 31/24 (anhängig)

Beitrag von jada.wasi »

Reichweite Präventionsverfahren
für schwerbehinderte Beschäftigte?
jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1 zu
BAG, 03.04.2025 – 2 AZR 178/24

von Roetteken hat geschrieben:Zu den von Art. 5 Sätze 1, 2 RL 2000/78/EG erfassten Maßnahmen gehören auch solche organisatorischer Art (EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11 Rn. 55). Es ist deshalb keineswegs offenkundig, dass die Pflicht zur Suche nach Maßnahmen, die für eine Beseitigung von Schwierigkeiten, die einer Fortsetzung eines Beschäftigungsverhältnisses von Menschen mit Behinderung entgegenstehen, in Betracht kommen, außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 5 RL 2000/78/EG steht. Das Gegenteil liegt nahe. Die Klärung dieser Auslegungsfrage obliegt allein dem EuGH, nicht einem nationalen Gericht. Insoweit ist Vorlage an EuGH geboten (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2, 3 AEUV).
[jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1, Abschnitt C]
Hallo zusammen,

kritisch-fundiert, rechtsvergleichend zu BAG, 3.4.2025, 2 AZR 178/24, Dr. Torsten von Roetteken, in jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1, der offensichtliche Schwachstellen des BAG-Urteils aufdeckt (u.a. einengende „Auslegung“ statt richtig wortlautnahe Auslegung). Von Roetteken hält die Auslegung des BAG für verfehlt, belegt mit zahlreichen Nachweisen. Die Klärung der von Roetteken „akribisch“ aufgezeigten Auslegungsfragen obliegt allein dem EuGH, nicht einem „nationalen“ Gericht. Insoweit sei daher eine Vorlage an EuGH geboten (Artikel 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2, 3 AEUV). Der Autor hat auch zu Recht (am Ende) darauf hingewiesen, wonach Prävention auch Beamten-, Richter- sowie die Soldatenverhältnisse umfasst egal, ob bspw Beamtenverhältnis auf Widerruf oder auf Probe, vgl Bundesgerichtshof, BGH vom 20.12.2006 – RiZ (R) 2/06. Die_Auslegung des BAG sei daher auch im Hinblick auf § 211 SGB IX verfehlt lt. der exzellenten Anmerkung von Roetteken, Vorsitzender Richter am VerwG a.D. Das BAG hat folglich seine Kompetenzen weit überschritten und EU-Richter offenbar „übergangen“ wegen Nichtanrufung, weil Vorlagepflicht.

Angemessene Vorkehrungen:
Ein ähnliches Verfahren zur Prävention ist anhängig beim LAG BaWü – 10 Sa 31/24, allerdings „öffentlicher Dienst“, wofür EU-Richtlinie 2000/78/EG unmittelbar anwendbar - also „unmittelbare Wirkung“ zukommt - weil nicht privater Arbeitgeber, sondern öffentlicher Dienst. Würde z.B. LAG BaWü der Berufung stattgeben ohne Vorlage an den EuGH und gleichzeitig die Revision nicht zulassen, würde es ggf. Verfassungsbeschwerde rechtfertigen wegen Entzugs der gesetzlichen EuGH-Richter laut Grundgesetz.
|Das AGG 2006 kennt zwar bisher diesen Grundbegriff des allgemeinen Gleichbehandlungsrechts der „angemessenen Vorkehrungen“ nicht, spricht von vorbeugenden, ange­mes­senen, positiven Maßnahmen. Er gilt jedoch über das EU-Recht bzw. die UN-BRK un­mittelbar jedenfalls im ÖD nach Rspr. Vgl. auch Welti, Fachbeitrag D9-2012 auf reha-recht (angemessene Vorkehrungen nach BRK). Aber auch § 12 AGG spricht von „Organisationspflichten“ und „vor­beu­gen­den“ Maßnahmen, also z.B. Prävention in Wartezeit? Das wurde vom BAG bislang nie bedacht - im Gegensatz zum BGH-Dienstgericht, 20.12.2006, RiZ (R) 2/06. Gruß Jada Wasi
annette.rosenberg
Beiträge: 159
Registriert: Montag 6. Februar 2012, 14:36

ArbG Köln, 19.11.2025 —18 Ca 6344/24

Beitrag von annette.rosenberg »

Präventionsverfahren in der Wartezeit
ArbG Köln, 19.11.2025 —18 Ca 6344/24
entgegen BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24


Das Arbeitsgericht Köln verweigert dem BAG erneut die Gefolgschaft mit umfänglicher und rechtsvergleichender sowie fundierter Begründung in Rdnr. 23 bis 45 - mittels allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze­n.

Diese Kammer hält die gegenteilige BAG-Auslegung für logisch widersprüchlich, inkonsistent bzw für konstruiert:
ArbG Köln, Rn. 23, hat geschrieben:Das Präventionsverfahren ist auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG (im Folgenden: Wartezeit) durchzuführen. Die Kammer vermag der entgegenstehenden Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 3. April 2025 – 2 AZR 178/24 –, Rn. 15, juris; BAG vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14 –, BAGE 155, 61-69, Rn. 27; vgl. auch BAG vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 720/14 –, BAGE 153, 138-162, Rn. 76 und zuvor BAG vom 24. Januar 2008 – 6 AZR 96/07 –, Rn. 32, juris – vergl. aber: BAG vom 19.12.2013 - 6 AZR 190/12 und Anm. Düwell, jurisPR-ArbR 9/2014 Anm. 1; wie BAG, Urteil vom 03.04.2025: Thür. LAG, Urteil vom 4. Juni 2024 – 1 Sa 201/23 –, Rn. 55 ff., juris [Vorinstanz]; LAG Düsseldorf, Urteil vom 15. Mai 2025 – 11 SLa 449/24 –, Rn. 104, juris [n. rkr., BAG Az. 2 AZR 128/25]; LAG BW, Beschl. v. 19.8.2025 – 10 Sa 31/24, BeckRS 2025, 26273 Rn. 9; ArbG Heilbronn, Urteil vom 10. Januar 2025 – 6 Ca 120/24 –, Rn. 28 ff., juris [Vorinstanz]; BeckOK ArbR/Roloff, 77. Ed. 1.9.2025, AGG § 22 Rn. 47; MHdB ArbR/ Zimmermann, 6. Aufl. 2024, § 198 Rn. 78; Schaub ArbR-HdB/ Linck, 21. Aufl. 2025, § 131. Rn. 5; BeckOK ArbSchR/Pflüger/Grüner, 24. Ed. 1.10.2025, SGB IX § 167 Rn. 4; BeckOK SozR/Gutzeit, 78. Ed. 1.6.2025, SGB IX § 167 Rn. 9; Spilger, jurisPR-ArbR 33/2025 Anm. 7; Rambach, ZTR 2025, 67-75; Fuhlrott, DB 2012, 2343) nicht zu folgen

(wie hier: LAG Köln, Urteil vom 12. September 2024 – 6 SLa 76/24 –, Rn. 65 ff., juris; ArbG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 4. Juni 2024 – 2 Ca 51/24 –, Rn. 39 ff., juris; ArbG Gera, Urteil vom 29. November 2024 – 3 Ca 873/24 –, Rn. 34, juris; ArbG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2024 – 1 Ca 18/24 –, Rn. 48, juris; BeckOGK/ Greiner, 1.7.2025, SGB IX § 167 Rn. 8; Knickrehm/ Roßbach/ Waltermann/ Kohte, 9. Aufl. 2025, SGB IX § 167 Rn. 9; HWK/Thies, 11. Auflage 2024, § 167 SGB 9, Rn. 3; NK-ArbR/Euler, 2. Aufl. 2023, SGB IX § 167 Rn. 3; Göttling, FS Preis, 2021, S. 353, 362; Düwell, jurisPR-ArbR 41/2023 Anm. 1 und jurisPR-ArbR 7/2024 Anm. 5; Kohte, jurisPR-ArbR 2/2018 Anm. 1 juris und jurisPR-ArbR 2/2025 Anm. 3; von Roetteken, jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1; Rabe-Rosendahl, jurisPR-ArbR 6/2025 Anm. 5; Gagel, jurisPR-ArbR 22/2007 Anm. 3; Euler, jurisPR-ArbR 39/2024 Anm. 6; Deinert, NZA 2010, 969, 970; Brose, RdA 2006, 149; Brunzema, ZESAR 2025, 361, 362 ff.; Eufinger, öAT 2024, 224; Wietfeld, RdA 2025, 49; unklar: ErfK/Rolfs, 26. Aufl. 2026, SGB IX § 167 Rn. 1 einerseits und Rn. 3 andererseits).
|Auf die bereits in dem den Parteien bekannten Urteil der Kammer vom 20. Dezember 2023 – 18 Ca 3954/23 – (veröffentlicht in juris) enthaltenen Auslegungserwägungen wird verwiesen. Mit Blick auf die von der Gegenauffassung vorgebrachten Argumente sei ergänzt …. [Gründe: A.I.1. bis 7.]
[ArbG Köln, 19.11.2025, 18 Ca 6344/24, Rn. 23]
Da haben sich offenbar der Sechste Senat und der Achte Senat und zuletzt der Zweite Senat des BAG verrannt am klaren Gesetzeswortlaut sowie am EU-Recht vorbei. Der fundierten, lehrbuchartigen Auslegung des ArbG Köln ist klarer Vorzug zu geben (Rn. 24 - 45) z. B. lt. Dr. Gerhard Etzel, Vorsitzender Richter am BAG a.D. – wonach eben »nicht mit Wortlaut vereinbar«. Etzel war VRiBAG des Zweiten Senats, den er bis 2001 leitete, für „Kün­di­gungs­recht“.

Ferner Prof. Düwell sowie Prof. Dr. Nebe und Dr. Rabe-Rosendahl lt. Diskussion 2024. Ebenso Prof. Dr. Kohte, ZfPR online 6/2024, Seite 19 bis 21. Kritisch zum BAG-Konstrukt auch Robert Hotstegs, LL.M. Und zu der sog. historischen „Auslegung“ dieses Zweiten BAG-Senates vergleiche kritisch oben Diskussion vom Juli 2025. Zum Thema auch Wissenschaftlicher Dienst (WD Nr. 18/25), Deutscher Bundestag. So auch Düwell, LPK-SGB IX, 7. Auflage § 167 Rn. 12, Seite 1114: „Keine Beschränkung des_Geltungsbereichs“. Ebenso Feldes in FKS-SGB IX, §_167 Rn. 11: Gilt auch für Arbeitsverhältnisse, welche „noch_keine sechs Monate gedauert haben“. So schon Dr. Gagel 2007, VRiBSG a. D. – zur „Prävention in der Wartezeit“. Kritisch ferner Brigitte Gött­ling, Präsidentin des_LAG Düsseldorf, FS Preis, 2021, Seite 353, 362, „Grundlagen des Arbeits- und Sozialrechts“. Ebenso Kleinertz, Dissertation: „Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor Verlust des Arbeitsplatzes durch Prävention“, Münster 2011, S. 64 bis 67, dass weder verdeckte Regelungslücke noch eine „teleologische Reduktion“ in § 167 SGB IX geboten.

Caroline Kleinertz hat geschrieben:Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Präventionsverfahrens bzw. des BEM lässt sich weder in § 84 Abs. 1 SGB IX noch in § 84 Abs. 2 SGB IX das Vorliegen einer verdeckten Regelungslücke feststellen. Eine teleologische Reduktion des § 84 SGB IX zur Vermeidung
sinn- und zweckwidriger Ergebnisse bei der Anwendung der Vorschriften ist folglich aus normimmanenten Gründen nicht geboten.
[Dissertation 2011, WWU Münster, Seite 64]
§ 84 SGB IX a.F. [nun § 167 SGB IX] ist damit nach gegenwärtiger Rechtslage auch in den ersten sechs Monaten_der Beschäftigungsverhältnisse anwendbar. Kleinertz hat wissenschaftlich herausgearbeitet in Dissertation 2011, dass und warum keine verdeckte Regelungslücke in § 84 SGB IX a.F. und warum keine Analogie sowie keine teleologische Reduktion geboten gemäß den „allgemein anerkannten Grundsätzen der Rechtsfortbildung“ (Zweiter Teil, C.IV.1, Seite 53 bis 67). Daran hat sich seither bekanntlich nichts geändert. Und damit hat sich leider keiner dieser drei Senate des BAG gehörig auseinandergesetzt. „Das Ziel der Frühzeitigkeit einer_Prävention wird in der Judikatur des BAG nicht zur Kenntnis genommen“, wie zu Recht vom ArbG Köln und Fachschrifttum moniert (jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1)

Mir erscheint demnach dieses „BAG-Konzept“ als verfassungswidrige Rechtsfortbildung so wie hier, wobei_es da ebenfalls um frei erfundene Frist ging Ob_BAG hieran festhält, wird sich in Kürze zeigen schon am 29.01.2026 (BAG – 2 AZR 128/25).

Viele Grüße
Annette
milicacej
Beiträge: 2
Registriert: Dienstag 4. November 2025, 15:03

Re: Präventionsverfahren in Wartezeit?

Beitrag von milicacej »

§ 84 SGB IX a.F. [nun § 167 SGB IX] ist damit nach gegenwärtiger Rechtslage auch in den ersten sechs Monaten_der Beschäftigungsverhältnisse anwendbar. Kleinertz hat wissenschaftlich herausgearbeitet in Dissertation 2011, dass und warum keine verdeckte Regelungslücke in § 84 SGB IX a.F. und warum keine Analogie sowie keine teleologische Reduktion geboten gemäß den „allgemein anerkannten Grundsätzen der Rechtsfortbildung“ (Zweiter Teil, C.IV.1, Seite 53 bis 67). Daran hat sich seither bekanntlich nichts geändert. Und damit hat sich leider keiner dieser drei Senate des BAG gehörig auseinandergesetzt. „Das Ziel der Frühzeitigkeit einer_Prävention wird in der Judikatur des BAG nicht zur Kenntnis genommen“, wie zu Recht vom ArbG Köln und Fachschrifttum moniert (jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1)

Mir erscheint demnach dieses „BAG-Konzept“ als verfassungswidrige Rechtsfortbildung so wie hier, wobei_es da ebenfalls um frei erfundene Frist ging Ob_BAG hieran festhält, wird sich in Kürze zeigen schon am 29.01.2026 (BAG – 2 AZR 128/25).Gerade bei so komplexen und folgenreichen Fragen zeigt sich, wie wichtig transparente und sauber strukturierte Informationsquellen sind – ähnlich wie man sie aus anderen Bereichen kennt, etwa von Plattformen wie neon54-ger, die auf Übersichtlichkeit und klare Einordnung setzen.
Die aufgezeigten Stimmen aus Rechtsprechung, Literatur und Wissenschaft zeigen, wie umstritten die vom BAG entwickelte Einschränkung inzwischen ist. Besonders interessant wird sein, ob der Senat im anstehenden Verfahren eine Auseinandersetzung mit der Kritik aus dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und der neueren Kommentarliteratur sucht oder an seiner bisherigen Linie festhält.
Zuletzt geändert von milicacej am Freitag 26. Dezember 2025, 08:51, insgesamt 1-mal geändert.
jada.wasi
Beiträge: 539
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24

Beitrag von jada.wasi »

Kritisch zu BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24, Prof. Düwell, ZfPR online 12/2025, Seite 12 bis 15 – sowie ArbG Köln, 19.11.2025, 18 Ca 6344/24 – entgegen dem BAG-Urteil:

Konsequenzen für die Praxis:
1. „§ 167 Abs. 1 SGB IX ist eine positive und spezifische Maßnahme im Sinne von Art. 7 RL 2000/78/EG, umgesetzt durch § 5 AGG. Für derartige positive Maßnahmen müssen die Mitgliedstaaten die Vorgaben des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beachten. Die mit § 167 Abs. 1 SGB IX befassten Gerichte haben bislang eine derartige Prüfung unterlassen. Sie würde zu dem Ergebnis führen, dass die von der Rspr.des BAG angenommene Geltungsbereichsausnahme für Präventionsverfahren zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führt.“

2. „Es ist widersinnig, wenn die in § 164 Abs. 4 SGB IX für Arbeitsverhältnisse geregelten angemessenen Arbeitgebervorkehrungen unabhängig vom Geltungsbereich des KSchG gelten und das in § 167 Abs. 1 SGB IX geregelte Suchverfahren nach angemessenen Vorkehrungen auf Arbeitsverhältnisse auf den Anwendungsbereich des KSchG beschränkt sein soll. Sinn macht vielmehr: Wer keinen gesetzlichen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen kann, verdient wenigstens den Schutz durch ein Präventions­ver­fahren." (von Roetteken, jurisPR-ArbR 32/2025 Anm. 1)
Michael Karpf
Beiträge: 85
Registriert: Dienstag 1. November 2016, 18:50

ArbG Köln, 19.11.2025, 18 Ca 6344/24

Beitrag von Michael Karpf »

Hallo zusammen,

dem ArbG Köln, Urteil vom 19.11.2025, 18 Ca 6344/24, stimme ich nach objektiver Würdigung zu. Denn der Zweite Senat des BAG vergleicht im Grunde Äpfel mit Birnen. Einerseits geht es bei der Prävention generell um eine reine Erörterung (§ 167 Abs. 1 SGB IX; Präventionsverfahren) bzw. eine reine Klärung (§ 167 Abs. 2 SGB IX; BEM), vorliegend in der Wartezeit – also um eine interaktive, ergebnisoffene, gemeinsame Beratung zwecks Suche nach Lösungsmöglichkeiten unter Einbeziehung externen InA-Sachverstands und ggf. dessen Förderangebot. Die etwaige Umsetzung von ggf. derart gefundenen und aufgegriffenen Lösungen ist nicht mehr Teil des Erörterungs-/Klärungsverfahrens. Ganz anders verhält es sich hingegen in Kapitel 4 beim förmlichen Zustimmungsverfahren wegen konkretem Kündigungwillen mit sich anschließender hoheitlicher Entscheidung durch das InA per Verwaltungsakt.

Würde dem BAG gefolgt und die Konfliktprävention in der Wartezeit ausgehebelt, käme als Konsequenz in der Wartezeit z.B. auch niemals eine Anhörung der SBV in Betracht (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Eine deratige Einschränkung der Beteiligungsrechte wäre aber völlig abwegig, wie schon von Caroline Kleinertz in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2011 auf Seite 66/67 grundlegend und sehr detailliert herausgearbeitet. Kleinertz betrachtet die Ziele der im Jahr 2000 eingeführten Prävention in § 14c SchwbG mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (SchwbBAG) vom 29.09.2000. Sie stellt die abweichenden Interessenlage von Präventions- und Zustimmungsverfahren heraus und zieht die zutreffende Schlussfolgerung, dass ein analoger Anwendungsausschluss bei Prävention in der Wartezeit nicht in Betracht kommt:
Kleinertz (Seite 67) hat geschrieben:Das Integrationsamt nimmt damit eine ganz andere Funktion wahr als im Rahmen des Zustimmungsverfahrens nach § 85 SGB IX … Dementsprechend steht die besondere Zielsetzung von Präventionsverfahren und BEM einem Anwendungsausschluss des § 84 SGB IX in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung entgegen.
Viele Grüße
Dr. Michael Karpf
jada.wasi
Beiträge: 539
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

Präventionsgespräch in Wartezeit?

Beitrag von jada.wasi »

Zu ArbG Köln, 19.11.2025, 18 Ca 6344/24 ­­

BAG, Rn. 19, hat geschrieben:Das gilt auch für Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX aF (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nF) findet weder direkte noch analoge Anwendung (hM)
[BAG, 13.12.2018, 2 AZR 378/18]
Die Begründung von Dr. Karpf ist stichhaltig:

Diese Ausnahmen in Kapitel 4 (§ 173 Abs. 1 SGB IX) gelten nicht für Kapitel 3 (§ 167 SGB IX) und nicht für Kapitel 5 (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Letzteres folgt ohnehin zwingend aus BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 – ist demnach insoweit zweifellos unvereinbar mit BAG, 03.04.2025, 2 AZR 178/24: Ist dort offenbar in Vergessenheit geraten oder aber Personalwechsel? Ferner LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.03.2023, 5 Sa 127/22 (rkr) mit Fachbeitrag B1-2024 von Dr. Rabe-Rosendahl auf reha-recht.de. Ebenso schon 2009 Dr. Etzel, wonach „nicht mit Wortlaut vereinbar“, wie bereits geschrieben. Die Ausnahmen in dem § 173 Abs. 1 SGB IX beziehen sich einzig und allein ausdrücklich auf Kapitel 4 („dieses Kapitels“) - und eben nicht auf andere Kapitel laut dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers.

Der Zweite Senat bemüht sich, den Wortlaut des § 167 Abs. 1 SGB IX per „Auslegung“ zu ändern. Wie kann der Zweite Senat des BAG nur auf so eine gegenteilige Idee kommen für ein gemeinsames Gespräch laut § 167 Abs. 1 SGB IX? Das ist eine offenbar inkonsistente Rspr. Dafür fehlt jeder rechtliche Ansatz schon seit dem Jahr 2000, also seit 25 Jahren ausweislich Gesetzeswortlaut und den Gesetzes­materialien von 2000. Gruß Jada Wasi
jada.wasi
Beiträge: 539
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

*** SPAM ***

Beitrag von jada.wasi »

milicacej hat geschrieben: Dienstag 23. Dezember 2025, 16:27 ….. ähnlich wie man sie aus anderen Bereichen kennt, etwa von Plattformen wie [Spam], die auf Übersichtlichkeit und klare Einordnung setzen.
Der Spammer milicacej verbreitet nur „Werbemüll“
Antworten