Müssen alle Bewerbungen komplett gelesen werden trotz Hinweis auf nur Bewerbung über XYZ?

matthias.günther
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Re: Müssen alle Bewerbungen komplett gelesen werden trotz Hinweis auf nur Bewerbung über XYZ?

Beitrag von matthias.günther »

magheinz hat geschrieben: Donnerstag 3. April 2025, 09:00 ganz vergessen: Es können ja auch jederzeit Initiativbewerbungen per Schneckenpost reinkommen.
Bei Eingang einer solchen von jemandem mit Schwerbehinderung ist die SBV umgehend zu informieren. Daraus folgt: Bewerbungen müssen gelesen werden.
dann hat der Bewerber hoffentlich auch gleich im Anschreiben bzw. Lebenslauf auf die Schwerbehinderung hingewiesen (BAG v. 18.09.2024 - 8 AZR 759/23)...

Das Ignorieren der ausdrücklichen Bitte eines Arbeitgebers, sich ausschließlich online zu bewerben und stattdessen (behinderungsbedingte Gründe ausgenommen, die aber dann schon sehr speziell sein müssten) Papierunterlagen einzureichen, mag letztlich der betroffene Arbeitgeber gar als "Zumutung" empfinden und zudem einen potentiellen "AGG-Hopper" hinter dieser Bewerbung vermuten. Bis hin zum sog. "Horn-Effekt" (gut erklärt z. B. https://karrierebibel.de/horn-effekt/.

Nachdem das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 21.07.2022, 18 Sa 21/22 bejaht hatte, dass ein öffentlicher Arbeitgeber Vorstellungsgespräche mit schwerbehinderten Bewerbern ausschließlich per Videointerview durchführen kann, wenn der Bewerber keine behinderungsbedingen Einschränkungen habe, die gerade eine Teilnahme am Videointerview erschweren, wird es auch zur Frage "ausschließliche Online-Bewerbung?" wiederum Aufgabe der Rechtsprechung sein, diese vor dem Hintergrund einer sich weiterentwickelnden Arbeitswelt eines Tages zu entscheiden.
jada.wasi
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Bewerbungstipps der IHK-Profis

Beitrag von jada.wasi »

Hallo zusammen,

stimme Matthias Günther voll zu. Dazu einige aktuelle „Bewerbungstipps“ von IHK-Experten für die Praxis zu Organisationsentscheidungen von Arbeitgebern:
IHK Pfalz hat geschrieben:Mittlerweile lassen die meisten Unternehmen nur noch Online-Bewerbungen (also per E-Mail oder über ein Bewerbungsportal) zu - auch bei Azubis! Auf keinen Fall solltest du deine Bewerbung schriftlich einreichen, wenn ausdrücklich per Mail oder online verlangt wird. Dann wird Bewerbung wahrscheinlich garnicht erst berücksichtigt ...
:idea: Allerdings wird Arbeitgeber jedenfalls dann Ausnahmen zuzulassen haben, wie schon geschrieben, wenn und soweit be­hin­de­rungs­be­dingt digitale Bewerbung nicht möglich sein sollte per Bewerbungsportal bzw per E-Mail. Zu „Feedback-Mechanismus“ sowie zur Durchsetzung von Barrierefreiheit siehe bspw. diese Diskussion weiter oben.

magheinz hat geschrieben: Donnerstag 3. April 2025, 08:57 Die Sache ist hier als Bitte formuliert. Bitten kann man entsprechen oder eben nicht.
Falsch – weil eher Frage der Umgangsform, bzw. des Umgangstons anstatt „Befehlston“. Gibt es hierzu noch andere Meinungen im Forum?

:) Durch freundliches „Bitte“ wird Aufforderung nicht unverbindlich, sondern nur höflicher (vergl. z.B. BGH, 20.12.1988 - VI ZR 182/88; ferner auch AG München, 18.03.2022, 142 C 12408/21) lt. ständiger RSpr. aller Instanzen. MfG. Jada Wasi
magheinz
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Re: Bewerbungstipps der IHK-Profis

Beitrag von magheinz »

jada.wasi hat geschrieben: Montag 7. April 2025, 17:15
Falsch – weil eher Frage der Umgangsform, bzw. des Umgangstons anstatt „Befehlston“. Gibt es hierzu noch andere Meinungen im Forum?
erklär das mal einem Autisten...
jada.wasi
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„Kasernenhofton“ oder Höflichkeitsform­?

Beitrag von jada.wasi »

magheinz hat geschrieben: Montag 14. April 2025, 07:32 erklär das mal einem Autisten ...
Das hat doch Justiz längst erschöpfend geklärt im letzten Jahrhundert, wie bereits oben zitiert sowie verlinkt. Daran hat_sich seither insoweit gar nichts geändert, oder? Dort findet sich umfassende - juristische - Erklärung versierter Bundesrichter. Erneut - rechtskräftig - klargestellt durch Amtsgericht München vom 18.03.2022 - 142 C 12408/21 Gruß Jada Wasi
magheinz
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Re: „Kasernenhofton“ oder Höflichkeitsform­?

Beitrag von magheinz »

jada.wasi hat geschrieben: Montag 14. April 2025, 12:50 [Amtsgericht München[/url] vom 18.03.2022 - 142 C 12408/21 Gruß Jada Wasi
Das Urteil passt doch inhaltlich überhaupt nicht zum Thema.
jada.wasi
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Befehlston oder Höflichkeitsform­?

Beitrag von jada.wasi »

magheinz hat geschrieben: Sonntag 4. Mai 2025, 16:08 Das Urteil passt doch inhaltlich überhaupt nicht zum Thema.
Naja, hier wie dort geht es im Kern darum, ob eine klare „Willenserklärung“ in gemeinschafts- bzw. sozialüblicher Form („Bitte“) als unverbindlich ignoriert werden darf oder eben nicht, wie geschrieben. Die „doppelte“ Aufforderung, sich – ausschließlich – per Web zu bewerben bzw andere Bewerbungsformen zu unterlassen – dieses ist jedenfalls eineindeutig und unmissverständlich – auch für Autisten. Was ist daran so schwer zu verstehen?

NEU: Bundesarbeitsgericht
Zur vermeintlichen unverbindlichen Bitte siehe auch BAG, 22.01.2025, 7 ABR 1/24, Rn. 50, wie folgt: „[50] Die (Brief-) Wähler mussten auch trotz der Höflichkeitsform "Bitte" auf dem Stimmzettel davon ausgehen, dass die vorgegebene Faltweise obligatorisch ist …“ Gruß Jada Wasi
Barbara_SBV
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Re: Müssen alle Bewerbungen komplett gelesen werden trotz Hinweis auf nur Bewerbung über XYZ?

Beitrag von Barbara_SBV »

kocki hat geschrieben: Donnerstag 6. März 2025, 19:31 Hallo,

es war mir so, dass ich mal in einem Urteil und/oder Kommentierung gelesen habe, dass AG im ÖD alle Bewerbungen vollständig lesen müssen, egal auf welchem Weg diese eingegangen sind, obwohl in der Stellenausschreibung steht, dass man sich z. B. nur über das Bewerbungsportal des AGs auf der AG-eigenen HP oder z. B. die Karriereseite des Bundes oder oder oder bewerben soll bzw. muss, z. B. mit "Bitte bewerben Sie sich ausschließlich über, auf, bei ..."

Wenn nun eine Bewerbung, aus welchem Grund auch immer, auf dem postalischen Weg oder per Fax oder per Mail ... eingeht, muss der AG im ÖD auch diese vollständig lesen?

Danke.

Grüße

Hallo Knocki :)

Ich (ebenfalls ÖD) habe auf einer Tagung unserer BSBV gelernt dass dieser Satz grundsätzlich erst mal nicht rechtens ist.
Die Frage stellt sich wohl immer nach der Barrierefreiheit. Man kann nicht automatisch davon ausgehen, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat über zB das Karriereportal eine Bewerbung einzureichen. Eine Bewerbung per Fax, Email oder in Schriftform muss genau so betrachtet werden, wie eine über eine Portalseite. Ungleichbehandlung und so..

Ich lasse mich natürlich immer gern eines Besseren belehren ;)

LG, Babs
jada.wasi
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Re: Müssen alle Bewerbungen komplett gelesen werden trotz Hinweis auf nur Bewerbung über XYZ?

Beitrag von jada.wasi »

Rückständig

Barbara_SBV hat geschrieben: Montag 23. Juni 2025, 10:57 Ich (ebenfalls ÖD) habe auf einer Tagung unserer BSBV gelernt, dass dieser Satz grundsätzlich erst mal nicht rechtens ist. Eine Bewerbung per Fax, Email oder in Schriftform muss genau so be­trach­tet werden, wie eine über eine Portalseite.
Mag sein, dass BSBV so pauschale Ansichten vertritt.

Jedenfalls beschränken schon seit Jahren beispw innovative Behörden und Hochschulen z.B. gezielt Zugänge per Tele­fax bzw. E-Mail aus wohlerwogenen Gründen – zugunsten bar­ri­e­re­frei und datenschutzkonform konzipierter Webportale bzw Apps. Ausgefaxt: Schluss mit Faxen, so der Bundestag, und entsorgte 2024 endlich alle seine Faxgeräte! Faxgeräte sind Auslaufmodelle in Zeiten der Digitalisierung, auch wenn die­se Di­gitalisierung in deutschen Amtsstuben noch immer nur dahindümpelt und großteils eGovernment floppt – wie vom NKR schon seit Jahren wiederholt scharf moniert. „Report Mainz“: Deutschland ist weit abgeschlagen "auf Platz 20" hinter Estland, Österreich, Dänemark .... Deutschland ist „immer noch Entwicklungsland“ – und „von einer flächen­deckenden digitalen Verwaltung wie in anderen Ländern sind_wir Lichtjahre entfernt“ – vergleichsweise demnach ziemlich rückständig und weit abgehängt, von einzelnen Ausnahmen einmal abgesehen. Und die Gazetten titeln: Deutschland verkommt zur "digitalen Kolonie"
Gruß Jada Wasi
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