LAG Nürnberg vom 31.05.2012 - 5 TaBV 36/11
Hallo zusammen,
in der Wahlbroschüre (Seite 93) steht, dass das Anfechtungsrecht wegen fehlerhafter Wählerliste verloren ginge, wenn zuvor kein fristgerechter Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt wurde. Kann diese zweifelhafte Auslegung des LAG Nürnberg nicht zwischenzeitlich als überholt angesehen werden, siehe Leitsatz des BAG vom 02.08.2017 - 7 ABR 42/15? Danach ist ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste nicht Voraussetzung dafür, in einem späteren Anfechtungsverfahren die Aufnahme nicht Wahlberechtigter in die Wählerliste rügen zu können, so ausdrücklich BAG. Gilt das ebenso für SBV-Wahlen?
http://www.iww.de/quellenmaterial/id/199037
Beste Grüße
Heidi Stuffer
Anfechtung wegen falscher Wählerliste?
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Re: Anfechtung wegen falscher Wählerliste?
Systematisch betrachtet ist wohl in der Tat davon auszugehen, dass die Rechtsprechung des LAG Nürnberg mittlerweile überholt ist.
Um eine SBV-Wahl wegen fehlenden schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in der Liste der Wahlberechtigten anfechten zu können, muss im Vorfeld kein Einspruch gegen das unrichtige Wählerverzeichnis eingelegt worden sein.
Beste Grüße, Dr. Michael Karpf
Um eine SBV-Wahl wegen fehlenden schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in der Liste der Wahlberechtigten anfechten zu können, muss im Vorfeld kein Einspruch gegen das unrichtige Wählerverzeichnis eingelegt worden sein.
Beste Grüße, Dr. Michael Karpf
Re: Anfechtung wegen falscher Wählerliste?
Hallo,
Das LAG Nürnberg vom 31.05.2012 - 5 TaBV 36/11 - auf welches sich die BIH-Wahlbroschüre bezieht, ist klar überholt, weil m.E. unvereinbar mit BAG in seinem Beschluss vom 02.08.2017 – 7 ABR 42/15 - sowie allen Vorinstanzen aus Ba-Wü aus dem Jahr 2015. Danach ist Einspruch nicht formelle Zulässigkeitsvoraussetzung für Anfechtung wegen fehlerhafter Wählerliste.
Gruß,
Jada Wasi
Das LAG Nürnberg vom 31.05.2012 - 5 TaBV 36/11 - auf welches sich die BIH-Wahlbroschüre bezieht, ist klar überholt, weil m.E. unvereinbar mit BAG in seinem Beschluss vom 02.08.2017 – 7 ABR 42/15 - sowie allen Vorinstanzen aus Ba-Wü aus dem Jahr 2015. Danach ist Einspruch nicht formelle Zulässigkeitsvoraussetzung für Anfechtung wegen fehlerhafter Wählerliste.
Gruß,
Jada Wasi
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Anfechtung wegen falscher Wählerliste?
Ja, hinfällig und rechtswidrig:Heidi Stuffer hat geschrieben:Kann diese zweifelhafte Auslegung des LAG Nürnberg als überholt angesehen werden?
Hallo zusammen, halte die gesamte Argumentation des LAG Nürnberg für ziemlich schief und nicht ansatzweise für nachvollziehbar sowie für einen kompletten Irrweg, wogegen jedoch keine Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt wurde, obgleich vom LAG zugelassen. Das LAG München 2014 und LAG Stuttgart 2015, LAG Hamm 2015, OVG Münster 2012, Rn 30/31, sind dem nicht unkritisch gefolgt in einem halben Dutzend Beschlüssen, da das LAG Nürnberg das Anfechtungsrecht gesetzwidrig eingeschränkt hatte; sie haben alle das genaue Gegenteil rechtskräftig beschlossen.
Die ganze wahlordnungsrechtliche Argumentation des LAG Nürnberg ist scharf daneben, weil die Wahlordnung über Anfechtungen gar nichts regeln kann, weil in der Verordnungsermächtigung ja nichts darüber steht (§ 183 SGB IX, zuvor § 100) und daher "gesetzeskonform" auszulegen ist: Die Wahlordnung als Rechtsverordnung ist gegenüber dem Gesetz die klar schwächere Rechtsnorm (§ 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. § 19 BetrVG sinngemäß*) und nicht umgekehrt. Da hat es sich das LAG Nürnberg zu leicht gemacht mit seinen "Unterstellungen" bezüglich "missbräuchlichem" Verhalten bzw dem vorgeblichen "Zweck" der Wahlordnung. Darüber zu befinden ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
Ja, gilt auch für SBV-Wahlen:Heidi Stuffer hat geschrieben:Gilt das ebenso für SBV-Wahlen?
Diese Rechtsprechung ist auch sinngemäß übertragbar auf förmliche SBV-Wahlen wg. vergleichbarer Rechts- bzw Interessenlage lt. dem Fachschrifttum (ausführlich Knittel, SGB IX, § 94 Rn 104/104a mit zahlreichen Nachweisen; so auch ausdrücklich schon das LAG München, 28.05.2014, 8 TaBV 34/12, für SBV-Wahlen; a.A. die BIH, Wahlbroschüre, Seite 93) für Betriebe, Dienststellen, Gerichte, was jedoch strikt abzulehnen ist laut der ständigen höchstrichterlichen Rspr. - zuletzt BVerwG, 21.07.2009 – 1 WB 18.08, Rn. 30, sowie BAG, 02.08.2017 – 7 ABR 42/15, Rn. 20. Vgl. dazu auch Diskussion aus 2017 mit Rspr. BVerwG seit 1968.
Es kommt somit nicht darauf an – ob bzw. warum kein Einspruch innerhalb der wahlordnungsrechtlichen Frist oder erst danach oder nur mündlich eingelegt wurde, da das im förmlichen Gesetz gerade nicht vorgesehen ist laut h.M. als Voraussetzung für Anfechtung wg. fehlerhafter Wählerliste (abweichend von der dem LAG Nürnberg folgenden BIH-Wahlbroschüre, Seite 93). Daher können Anfechtungen wg. fehlerhafter Wählerliste nicht mehr rein formal abgewehrt werden mit dem bloßen Hinweis, es sei kein Einspruch eingelegt worden nach § 4 SchwbVWO: Wahlvorstände sind folglich gut beraten, die Wählerliste mit großer Sorgfalt zu erstellen, ggf. zu aktualisieren und auf dem Laufenden zu halten und zwar durchgängig bis zum Tag vor der Wahl.
Die Wahlvorstände sollten sich nicht "blind" darauf verlassen, welche Daten sie vom Arbeitgeber erhalten, sondern vielmehr dessen "Rohmaterial" zumindest einer kritischen Plausibilitätsprüfung unterziehen, etwa anhand der "Entscheidungstabelle" der Wahlbroschüre, Abschnitt 3.3.
Der Wahlvorstand könnte sich z.B. fragen: Wurden ruhende Beschäftigungsverhältnisse gemeldet wie Elternzeit u.a? Wurden geringfüg Beschäftigte gemeldet? Wurden Leiharbeitnehmer gemeldet - die anders als bei BR-Wahlen schon ab dem ersten Tag wahlberechtigt sind? Wurden etwaige Probebeschäftigte gemeldet.
TIPPS Gezielt und ausdrücklich bei Ihrem Arbeitgeber nach solchen Beschäftigungsverhältnissen fragen, die gerne mal vergessen bzw übersehen werden und ansonsten "durchrutschen" könnten, wie der Fall des LAG Nürnberg u.a. zeigen. Weitere Tipps zur gezielten Anfrage siehe hier.
Viele Grüße
Albin Göbel
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*) Ebenso Düwell, Handbuch zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung, 2. Auflage 2018, Abschnitt 10.3.2; Knittel, SGB IX, § 94 Rn. 104/104a; Sachadae, 11.01.2017, jurisPR-ArbR 2/2017 Anm. 6; Hohmann in Wiegand/Hohmann, SchwbVWO, Rn. 61 der Einleitung unter Hinweis auf ständige Rechtsprechung des BVerwG seit einem halben Jahrhundert ab 1968 für PR-Wahl; Prof. Dr. Brors, HaKo-BetrVG, 5. Auflage 2018, § 19 Rn 15, für BR/SBV-Wahl, und Sachadae, § 4 WO-BetrVG, Rn. 3 m.w.N.
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Anfechtung wg. fehlerhafter Wählerliste ohne Einspruch?
NACHTRAG
zur Fehleinschätzung des LAG Nürnberg
wg. Verlust der Anfechtungsberechtigung
Ablehnend zu Recht auch Matthias Liebsch vom "Zentrum für Sozialforschung" in Halle Fachbeitrag B1-2019 auf reha-recht.de mit zahlreichen Nachweisen für die SBV-Wahl zur Anfechtung wegen falscher Wählerliste. Wenn jemand anficht wegen falscher Wählerliste beim ArbG, ohne vorher förmlich Einspruch eingelegt zu haben beim Wahlvorstand, so hat das entgegen LAG Nürnberg bzw. Einzelmeinungen im Schrifttum grundsätzlich nichts mit rechtsmissbräuchlichem Verhalten oder gar "Arglist" zu tun nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (so z.B. 3 verschiedene BVerwG-Senate, zuletzt BVerwG, 21.07.2009, 1 WB 18.08, Rn 30 am Ende, wonach zentraler Schutzzweck der Wahlanfechtungsnorm "die im allgemeinen Interesse" liegende Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl ist)
Zur vermeintlichen Verwirkung vgl auch den wahlrechtlichen "Hinweis" des LAG München, 27.09.2005, 8 TaBV 29/05 am Ende entsprechend, wonach das Anfechtungsrecht weit über die Interessen eines Einzelnen hinausgeht – hier wie dort.
Viele Grüße
Albin Göbel
NACHTRAG
zur Fehleinschätzung des LAG Nürnberg
wg. Verlust der Anfechtungsberechtigung
Ablehnend zu Recht auch Matthias Liebsch vom "Zentrum für Sozialforschung" in Halle Fachbeitrag B1-2019 auf reha-recht.de mit zahlreichen Nachweisen für die SBV-Wahl zur Anfechtung wegen falscher Wählerliste. Wenn jemand anficht wegen falscher Wählerliste beim ArbG, ohne vorher förmlich Einspruch eingelegt zu haben beim Wahlvorstand, so hat das entgegen LAG Nürnberg bzw. Einzelmeinungen im Schrifttum grundsätzlich nichts mit rechtsmissbräuchlichem Verhalten oder gar "Arglist" zu tun nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (so z.B. 3 verschiedene BVerwG-Senate, zuletzt BVerwG, 21.07.2009, 1 WB 18.08, Rn 30 am Ende, wonach zentraler Schutzzweck der Wahlanfechtungsnorm "die im allgemeinen Interesse" liegende Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl ist)
Zur vermeintlichen Verwirkung vgl auch den wahlrechtlichen "Hinweis" des LAG München, 27.09.2005, 8 TaBV 29/05 am Ende entsprechend, wonach das Anfechtungsrecht weit über die Interessen eines Einzelnen hinausgeht – hier wie dort.
Viele Grüße
Albin Göbel