
Einheitliche Verdachtskündigung
Stimmt das Integrationsamt ausdrücklich einer einheitlichen Verdachtskündigung aufgrund von zwei jeweils in sich abgeschlossenen Vorfällen zu und hat der Arbeitgeber die ursprünglich beabsichtigte Tatkündigung im Rahmen dieses Verfahrens ausdrücklich fallen gelassen, ist eine auf nur einen dieser Vorfälle gestützte und im Prozess ausschließlich als Tatkündigung begründete Kündigung mangels Zustimmung des Integrationsamts nach § 168 SGB IX i.V.m. § 134 BGB unwirksam.
Hessisches LAG, Urteil vom 9.7.2021, 14 Sa 10/21
Hintergrund und Begründung
Der schwerbehinderte Kläger war beim Beklagten erster Bordsteward in der Bordgastronomie mit Inkassoverantwortung. Er erhielt verschiedene Abmahnungen wegen Verstöße gegen die Bonierungs- und Inkassovorschriften. Mit zwei getrennten Schreiben vom 20. März 2019 beantragte der Beklagte nach Anhörung des Klägers die Zustimmung zu jeweils einer ordentlichen Kündigung, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung des Klägers. Die eine beabsichtigte Kündigung begründete er mit einer Unterschlagung durch den Kläger am 29. September 2018, die andere beabsichtigte ordentliche Kündigung, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung begründete er mit einer vom Kläger am 28. Oktober 2018 begangenen Unterschlagung.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2020 traf das Integrationsamt folgende Sachentscheidung: „Die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung wird erteilt.“ Es führte u.a. aus: „…Im Hinblick darauf, dass verschiedene Aspekte nicht abschließend geklärt werden konnten, wurde von Arbeitgeberseite erklärt, dass man eine Entscheidung des Integrationsamtes nur bezüglich der beantragten Verdachtskündigung begehre.“
Mit zwei Schreiben vom 22. Januar 2020 formulierte die Beklagte gegenüber dem Kläger zwei wortgleiche ordentliche Kündigungen, von denen eine Kündigung auf den Sachverhalt vom 29. September 2018 und die andere auf den Sachverhalt vom 28. Oktober 2018 gestützt wurde. Die Berufung des Arbeitgebers gegen das der Klage stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil hatte keinen Erfolg. Das LAG führt aus, einer auf den Sachverhalt vom 28. Oktober 2018 gestützten Tatkündigung habe das Integrationsamt ausdrücklich nicht zugestimmt. Es habe lediglich einer Verdachtskündigung zugestimmt, die mit den Vorfällen vom 28. Oktober 2018 und vom 29. September 2018 begründet worden seien.
Dass das Integrationsamt einer Tatkündigung nicht zugestimmt hat, führt zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 22. Januar 2020 gemäß § 168 SGB IX i.V.m. § 134 BGB. Das Vorliegen einer Zustimmung des Integrationsamts berechtigt den Arbeitgeber nicht, im Rahmen der Monatsfrist Kündigungen auszusprechen, die nicht auf dem Sachverhalt beruhen, für den das Integrationsamt die Zustimmung erteilt hat. Vielmehr muss der vom Integrationsamt festgestellte und seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt den Kündigungsgrund bilden.