Statue von Justitia.

Datenschutz beim BEM

Aus § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (in der bis zum 09.06.2021 geltenden Fassung, seit 10.06.2021: Satz 4) folgt nicht nur, dass der Arbeitnehmer auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist. Vielmehr ergibt sich hieraus auch, dass die Datenverarbeitung datenschutzkonform zu erfolgen hat. Die Erreichung der Ziele des BEM erfordert nicht, dass im Verfahren mitgeteilte Diagnosedaten bekanntzumachen wären. Wenn dem Arbeitnehmer dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist auf die Freiwilligkeit hinzuweisen.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2021, 4 Sa 68/20

Hintergrund und Begründung

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen, krankheitsbedingten Kündigung sowie über einen von der Klägerin geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch. Erstinstanzlich wurde der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Das LAG führte aus, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein erforderliches BEM nicht ordnungsgemäß eingeleitet. Zwar sei die Klärung von Möglichkeiten zur Beendigung gegenwärtiger und Vermeidung neuer Arbeitsunfähigkeiten sowie zum Erhalt des Arbeitsplatzes nur möglich, wenn die beteiligten Akteure im möglichen Umfang Informationen über die Ausgangssituation haben.

Zu beachten sei aber, dass berechtigte Interessen des Beschäftigten gegen eine umfassende Informationssammlung sprechen können. Die Beachtung des Datenschutzes sei in BEM-Verfahren ausdrücklich vorgeschrieben und für eine vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit im Rahmen des BEM unerlässlich. Dem Arbeitnehmer müsse mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.

Nur bei entsprechender Unterrichtung könne vom Versuch der ord- nungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein. Arbeitgeber dürften ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen Zugang nur zu solchen Daten haben, die für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum BEM erforderlich seien oder ohne die der Arbeitgeber seine Zustimmung zu geplanten Maßnahmen nicht erteilen könne. Für eine „Bekanntmachung“ aller offenbarter Gesundheitsdaten (insb. Diagnosen) gegenüber dem Arbeitgeber bestehe in der Regel kein nachvollziehbarer Grund.

Weitere aktuelle Urteile


Statue der Justitia vor blauem Hintergrund mit rotem Kreis.

Aktuelles Urteil: Begrenzte Pflicht zur Rücksichtnahme

Ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem leistungsgeminderten Arbeitnehmer innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Tätigkeit zu übertragen, zu deren Erbringung dieser noch in der Lage ist?

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Aktuelles Urteil: Zustimmung des Integrationsamtes

Ist ein Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (bzw. auf Gleichstellung) noch nicht gestellt, muss die Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt nicht erfolgen.

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Evidenzkontrolle

Fällt der Arbeitsplatz eines Mitarbeiters mit Schwerbehinderung weg und wird dieser trotzdem weiterbeschäftigt, muss das Integrationsamt nur eine Evidenzkontrolle durchführen.

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Briefwahl

Bei den Vorschriften in § 11 Absatz 1 Nummer 4 SchwbVWO handelt es sich um eine wesentliche und zwingende Vorschrift über das Wahlverfahren, die zur Verhinderung von Manipulationen eng auszulegen ist.

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Rechtstellung der Stellvertreter

Ein stellvertretendes Mitglied der SBV besitzt nur während der Dauer der Vertretung und der Heranziehung nach § 178 Absatz 1 Satz 4 und 5 SGB IX die gleiche persönliche Rechtsstellung wie die Vertrauensperson.

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Wochenenddienste

§ 164 Absatz 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber nicht, wegen der Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den er nach seinem Organisationskonzept nicht benötigt. Arbeitgeber können grundsätzlich Wochenenddienste anordnen.

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Befristung von Zusatzurlaub

Die Befristung des Anspruchs schwerbehinderter Menschen auf Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig.

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Erneutes BEM

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches BEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines BEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war.

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Stufenvertretung

Eine Beteiligung der Stufenvertretung nach §180 Abs. 6 Satz 3 SGB IX kommt immer nur dann in Betracht, wenn persönliche Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen betroffen sind, über die eine übergeordnete Dienststelle entscheidet.

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Kein Individualanspruch

§ 67 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM).

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Einheitliche Verdachtskündigung

Stimmt das Integrationsamt ausdrücklich einer einheitlichen Verdachtskündigung aufgrund von zwei jeweils in sich abgeschlossenen Vorfällen zu und hat der Arbeitgeber die ursprünglich beabsichtigte Tatkündigung im Rahmen dieses Verfahrens ausdrücklich fallen gelassen...

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Mindestnote bei Bewerbung

Soweit sich im öffentlichen Dienst eine Stellen- ausschreibung insbesondere an Bewerberinnen und Bewerber außerhalb des öffentlichen Dienstes richtet, kann der Arbeitgeber grundsätzlich bestimmen ...

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Zustimmung zur Kündigung

Die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung – vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit – entfaltet so lange Wirksamkeit, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist.

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Ermessensentscheidung

Bei der Zustimmung des Integrationsamtes zu einer außerordentlichen Kündigung sind neben den Belangen des Arbeitnehmers auch die Interessen des Arbeitgebers an einer schnellen Abwicklung des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen.

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Kein individuelles Recht auf Vorstellungsgespräch

Die in § 165 S. 3 SGB IX bestimmte Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Stellenbewerber/-innen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers, mit denen kein individueller Anspruch der jeweiligen schwerbehinderten Bewerber/-innen auf eine ...

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Mitteilungspflicht im BEM-Verfahren

Im Rahmen des Betrieblichen Ein­gliederungs­manage­ments (BEM) trifft den Arbeit­geber die Pflicht, den Arbeit­nehmer oder die Arbeit­nehmerin auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinzuweisen. Die Darstellung der Ziele muss über die bloße Bezugnahme auf die ...

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Befugnisse der Gesamt-SBV

Ist in einem Betrieb keine Schwerbehindertenvertretung gewählt, ist die Gesamtschwerbehindertenvertretung nicht befugt, zu einer Versammlung zum Zweck der Wahl des Wahlvorstandes einzuladen.

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Unterrichtungsanspruch

Der Unterrichtungsanspruch nach § 178 Abs. 2 S. 1 HS 1 SGB IX erstreckt sich auf alle Angelegenheiten, die sich spezifisch auf schwerbehinderte Menschen auswirken. Die Anhörungspflicht hingegen bezieht sich nur auf die diesbezüglichen Entscheidungen des Arbeitgebers.

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