Wer ist wahlberechtigt, wer nicht?

annette.rosenberg
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Re: Wer ist wahlberechtigt, wer nicht?

Beitrag von annette.rosenberg »

Was hat Ihr Posting zu Wählbarkeit mit Ausgangsfrage zu der aktiven „Wahlberechtigung“ in diesem Thread zu tun?

Die-Super-VP hat geschrieben: Samstag 29. März 2025, 23:36 Was bedeutet "seit sechs Monaten"? Können die sechs Monate unterbrochen werden?
Nein, Vordienstzeit zählt m.E. nicht, falls nicht unmittelbar zuvor im Betrieb abgeleistete Zeit, also nicht durchgängig (lückenlos) bis zu dem Tag der Wahl gemäß allgemeinem Sprachgebrauch, also nahtlos beschäftigt. Zu Vorbe­schäf­tigungen vgl. sinngemäß auch Diskussion 2018.

Viele Grüße
Annette
jada.wasi
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WfbM: Arbeitnehmereigenschaft?

Beitrag von jada.wasi »

Sind WfbM-Beschäftigte "Arbeitnehmer"
im Sinne des BetrVG und der UN-BRK?

Von Drygalski hat geschrieben:Es ist davon auszugehen, dass bereits nach heutiger Rechtslage ein nicht unerheblicher Teil der WfbM-Beschäftigten die Kriterien einer Arbeitnehmereigenschaft erfüllt. Um die Werkstattbeschäftigung transparent und rechtssicher auszugestalten und sie in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu überführen, wäre die regelhafte Arbeitnehmerstellung in das Gesetz aufzunehmen.
Die unbelegte Behauptung, dass laut aktueller Rechtslage „ein nicht unerheblicher Teil der WfbM-Beschäftigten die Kriterien einer Arbeitnehmereigenschaft“ erfülle – halte ich für fragwürdig: Denn der gegenteiligen Einzelmeinung des ArbG Koblenz, 09.08.2002, 2 Ca 447/02, ist nämlich die ober- bzw. höchstrichterliche Rspr. gerade nicht gefolgt, soweit ersichtlich? So hat z.B. das LAG Düsseldorf vom 11.11.2013, 9 Sa 469/13, Rn. 25, diese Annahme offenbar ausdrücklich abgelehnt. Vergl. Hoffmann/Prof. Dr. Kohte, Fachbeitrag: B1-2015. Auch der Neunte Senat des BAG, 17.03.2015 – 9 AZR 994/13 – ging ja nicht von einem Arbeitnehmerstatus aus, sondern „Werkstattverhältnis“ (korrekt also Werksattvertrag statt Arbeitsvertrag nach allgemeiner Ansicht zum neuen § 611a BGB 2017).

NORMENKETTE (Wählbarkeit: SGB IX ➔ BetrVG)
Demnach in aller Regel kein passives SBV-Wahlrecht für WfbM-Rehabilitanden gemäß § 177 Absatz 3 SGB IX, da kein Arbeitsvertrag im Sinne des § 611a BGB, sowie kein Arbeitnehmer i.S.d. § 5 BetrVG, also nicht wahlberechtigt für_den BR und daher auch nicht wählbar für BR – daher folglich nicht wählbar „kraft Gesetzes“ für die SBV gemäß § 177 Abs 3 S. 2 SGB IX nach klarem Gesetzeswortlaut lt. allgemeiner Ansicht. Höchst irreführend jedoch BAG vom 23.10.2024 – 7 ABR 36/23 – soweit es von „Wählbarkeit“ spricht, weil insoweit ein offensichtlicher Justizirrtum; klar ablehnend zu Recht beispielsweise Tillmanns / Haufe zu § 5 BetrVG – Rz. 39. BAG ist insoweit wahlrechtlich klar unbeachtlich als offensichtl. redaktioneller BAG-Fehler sowie als ein ohnehin „nicht entscheidungserheblicher“ Rechtssatz. Denn anders als im BetrVG hängt die SBV-Wählbarkeit im SGB IX (bekanntlich) gerade nicht vom aktiven Wahlrecht ab, oder? Offenbare Unrichtigkeiten bleiben (wie hier) außer Betracht gemäß Prozessrecht, folglich wahlrechtlich „unverbindlich“ für Wahlvorstände sowie_für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Gruß Jada Wasi
Meggie
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Berichtigungsbeschluss vom 22.04.2025

Beitrag von Meggie »

Hallo zusammen,

der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2024 (Az. 7 ABR 36/23) seinen fatalen Fehler bemerkt und korrigiert: Ursprünglich stand in den Entscheidungsgründen unter B.III.2. b) bb), dass es um „die Wählbarkeit“ (also um das passive Wahlrecht) ging. Inzwischen wurde auf der Website des BAG dieser Begriff durch „das Wahlrecht“ (gemeint ist hier das aktive Wahlrecht, also das Recht, auch SBV zu wählen) in Rn. 23 ersetzt per Beschluss wie folgt:

HINWEIS
Siehe dazu BAG-Berichtigungsbeschluss vom 22.04.2025 wegen „offenbarer Unrichtigkeit nach § 319 Abs. 1 ZPO“:
BAG vom 22.04.2025 hat geschrieben:Berichtigungsbeschluss vom 22.04.2025:

Der Beschluss des Senats vom 23. Oktober 2024, 7 ABR 36/23, wird wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen dahingehend berichtigt, dass der zweite Satz unter B. III. 2. b) bb) der Gründe (Rn. 23) richtigerweise wie folgt lautet:

„Bei den streitbefangenen Wahlen ist gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht verstoßen worden, indem die schwerbehinderten Werkstattbeschäftigten von den Wahlen ausgeschlossen waren.“
Schmidt ­ ­ Klose ­ ­ Wullenkord
Viele Grüße
Meggie
annette.rosenberg
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BAG-Berichtigungsbeschluss vom 22.04.2025

Beitrag von annette.rosenberg »

Meggie hat geschrieben: Sonntag 4. Mai 2025, 18:52 Ursprünglich stand in den Entscheidungsgründen unter B.III.2. b) bb), dass es um "die Wählbarkeit“ (also um‘s passive Wahlrecht) ging. Inzwischen wurde auf der Website des BAG dieser Begriff durch „das Wahlrecht“ (gemeint ist hier das aktive Wahlrecht, also das Recht, auch SBV zu wählen) in Rn. 23 ersetzt per Beschluss …
Hallo Meggie,

danke für diese überaus aufschlussreichen Recherchen, wonach diese BAG-Richter ihr Missgeschick (nach sechs Monaten) gecheckt und von Amts wegen bereinigt haben. Denn im Web findet sich nach wie vor die ursprüngliche fehlerbehaftete Version in Datenbanken, aus der selbst Fachanwaltschaft teils vorschnell und irreführend falsche Schlüssen abgeleitet hat zur Wählbarkeit (bspw. openjur, juris und IWW sowie betriebsberater und andere).

IFB-FORUM
Demnach kann daraus folglich also kein Wahlrecht (weder „Wahlberechtigung“ nach § 7 BetrVG noch „Wählbarkeit“ lt. § 8 BetrVG) für Wahlen zum Betriebsrat abgeleitet werden. Daher natürlich auch keine Wählbarkeit bei SBV-Wahlen in Betrieben wg. § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX entgegen einer „vorschnellen“ Behauptung ( Unterstellung ) im IFB-Forum, wonach WfbM-Rehabilitanden vorgeblich wählbar seien – obwohl Wählbarkeit ja gesetzlich explizit ausgeschlossen.

DVfR-FORUM
Dennoch wird in dem DVfR-Forum in den „Kommentaren“ von_einem grundsätzl. zu vermutenden „Arbeitsverhältnis“ gemäß dem neuen § 611a BGB ausgegangen – obgleich keine Leistungs-Pflicht im Gegensatz zum Arbeitsvertrag, weil nicht „verpflichtet“ zur „Rehabilitation“ in WfbM. Hier besteht im Wesentlichen gerade kein „synalagmatischer Zusammenhang“ von Leistung sowie Gegenleistung bei voller Erwerbsminderung der „Rehabilitanden“, die nicht mindestens 3 Stunden täglich auf dem sog. allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

Viele Grüße
Annette
jada.wasi
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SBV-Wahlrecht in der Werkstatt

Beitrag von jada.wasi »

BAG, 23.10.2024, 7 ABR 36/23
BAG, 22.04.2025, 7 ABR 36/23
Zu »Schwerbehindertenrecht und Inklusion« 9/2025

Siehe zum aktiven SBV-Wahlrecht der Rehabilitanden in WfbM auch SuI 9|2025, Seite 6 bis 7. Der Beitrag enthält leider m.E. teils „missverständliche“ Punkte auf Seite 7:

1 Soweit da allerdings pauschal davon die Rede ist (Seite 7 rechte Spalte ) – dass gewählte Vertrauenspersonen, ihre Stellvertreter und Mitglieder des Wahlvorstands berechtigt seien, die SBV-Wahl anzufechten, und dass das aus BAG 16.09.2020 – 7 ABR 30/19, folge, ist das offensichtlich so falsch. Richtig ist vielmehr – dass neben dem Arbeitgeber nur 3 sbM gemeinsam eine SBV-Wahl anfechten können, also VP nur, wenn selbst wahlberechtigt als eine von drei. Sollte bspw ein Mitglied der SBV oder des Wahlvorstands nicht aktiv wahlberechtigt sein – dann sind diese ohnehin niemals anfechtungsbefugt, also unzulässig, soweit nicht selbst aktiv wahlberechtigt.

2 Ausnahme: Lediglich in einzelnen Bundesländern scheint es auszureichen, wenn ein einzelner wahlberechtigter sbM die SBV-Wahl anficht, nämlich zum Beispiel in Brandenburg im Geltungsbereich des § 25 Abs. 2 LPersVG BB sinngem. Dort ist keine Mindestzahl von drei vorgegeben. Demnach genügt dort wohl ein einzelner Wahlberechtigter, um eine Wahl anzufechten.

3 Soweit dort passives Wahlrecht erörtert wird – führt das eher in die Irre. Siehe dazu den oben von Meggi zitierten Berichtigungsbeschluss des BAG v. 22.04.2025 wegen „offenbarer Unrichtigkeit“ zu der Frage der „Wählbarkeit“. Dieser grob fehlerhaft begründete Ausgangsbeschluss des BAG, 23.10.2024, 7 ABR 36/23, wonach gegen „die Wähl­bar­keit“ verstoßen worden sei, findet sich leider teils noch immer unverändert in Datenbanken wie juris und wird teils insoweit zur vorgeblichen Wählbarkeit unkritisch „nach­ge­plap­pert“ entgegen BAG-Berichtigungsbeschluss. 👎
|Das hat BAG leider erst nach sechs Monaten gecheckt. Jedenfalls ist in der Werkstatt nach BetrVG ein passives Wahlrecht ohne Arbeitsvertrag von vornherein und ganz generell ausgeschlossen für den werkstattbeschäftigten schwerbehinderten Rehabilitanden kraft Gesetzes, weil nicht_wählbar für BR (§ 177 Abs 3 Satz 2 SGB IX); a.A. wohl_von Drygalski, Fachbeitrag A4-2025, Abschnitt V. Ausblick, zur „Arbeitnehmereigenschaft“ auf reha-recht - dazu mehrere kontroverse Kommentare.

4 Auch stellt sich in dem Zusammenhang tausendfach die Frage, ob diese werkstattbeschäftigten Rehabilitanden auf ausgelagerten »betriebsintegrierten« Arbeitsplätzen (insb. aber auf Einzelarbeitsplätzen) in Betrieben auch dort SBV-Wahlrecht haben, folglich doppeltes SBV-Wahlrecht in der WfbM und daneben auch in dem Einsatz-Betrieb (so Prof. Düwell und Prof. Kohte mwN). Bei solchen ausgelagerten „Außenarbeitsplätzen“ handelt es sich ganz überwiegend um_Einzelarbeitsplätze um die 60 Prozent.

5 Zu beachten ist ferner, dass dieser BAG-Beschluss nur insoweit greift, soweit auch das staatliche Wahlrecht nach § 177 Abs. 2 SGB IX einschlägig. Siehe dazu Diskussion 2024 mit Verweis auf KGH.EKD 2008 und Henrike Busse, Arbeitsrecht Kirche, 4/2018, Seite 128, zum „Wahlrecht in WfbM“ im Bereich des MVG-EKD: „Das schließt bspw die in_WfbM beschäftigten sbM als Wahlbe­rech­tig­te aus“, da maßgeblich alle „Mitarbeitenden“ – nicht „Beschäftigten“

6 Die in Werkstätten beschäftigen WfbM-Rehabilitanden mit Schwerbehinderung wählen nicht nur (§ 177 Abs 2 SGB IX), sondern sie zählen regelmäßig auch (§ 177 Abs. 1 SGB IX), falls „nicht nur vorübergehend beschäftigt“. Im Übrigen sind die Beschäftigtenbegriffe in den beiden Absätzen identisch. Gruß Jada Wasi

BT-Drucksache 21/2311 (Seite 3 oben)
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