Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel

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SchmeixFliege

Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel

Beitrag von SchmeixFliege »

Liebes Forum,

der Musterstimmzettel der BIH auf Seite 113 der Wahlbroschüre besteht aus zwei Teilen, die somit als zwei eigene Wahlgänge angesehen werden dürfen.
Teil 1: Wahl der Vertrauensperson
Teil 2: Wahl des/der stellvertretenden Mitglieds/Mitglieder

Beim förmlichen Wahlverfahren ist laut Wahlordnung ein gemeinsamer Stimmzettel für beide Wahlen einzusetzen
(§ 9 Absatz 2 Satz 2 SchwbVWO).

Entsprechend eines Beschluss des BAG vom 29.7.2009, 7 ABR 91/07, zu einem förmlichen Wahlverfahren steht nach Auffassung des BAG die gleichzeitige Stimmabgabe - auf einem Stimmzettel entsprechend der Wahlvorschrift zum förmlichen Wahlverfahren - der Annahme von zwei getrennten Wahlen (bzw. Wahlgängen) nicht entgegen. Es ist davon auszugehen, dass dies ist zur Reduzierung des Aufwands vom Gesetzgeber so vorgesehen worden ist.
https://openjur.de/u/171849.html

Die BIH schreibt in ihrer Wahlbroschüre auf Seite 63, dass im vereinfachten Wahlverfahren auf zwei Stimmzetteln zu wählen ist. Dies kann aber so von mir nicht der Wahlordnung entnommen werden.
Weshalb sollte im vereinfachten Wahlverfahren eine Zusammenfassung der zwei Wahlgänge nicht in gleicher Weise wie bei der förmlichen Wahl auf einem Stimmzettel möglich sein? Die von der BIH als erforderlich beschriebene Vorgehensweise wäre außerdem jetzt auch nicht einfacher, als bei einem förmlichen Wahlverfahren.

Wenn es zu viele Kandidaten gibt, dann kann das auf einem Stimmzettel schon etwas eng werden und zwei Stimmzettel wären da vermutlich praktikabler, aber dieses Problem taucht doch eher beim förmlichen Wahlverfahren auf.

Kann hier jemand etwas genaueres dazu sagen?
Heidi Stuffer
Beiträge: 118
Registriert: Dienstag 5. September 2017, 12:26

Re: Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel

Beitrag von Heidi Stuffer »

Die BIH schreibt in ihrer Wahlbroschüre auf Seite 63, dass im vereinfachten Wahlverfahren auf zwei Stimmzetteln zu wählen ist. Weshalb sollte im vereinfachten Wahlverfahren eine Zusammenfassung der zwei Wahlgänge nicht in gleicher Weise wie bei der förmlichen Wahl auf einem Stimmzettel möglich sein?
Hallo Schmeixfliege,
das ist auch richtig so, wie von der BIH beschrieben, weil nur auf der Wahlversammlung die zwei Wahlgänge nacheinander stattfinden (müssen) – im Unterschied zu förmlichen Wahlen. Würde anders verfahren, so könnte das zumindest Stelliwahl ggf. anfechtbar machen.

Denn je nach Ausgang des ersten Wahlganges könnte das erfahrungsgemäß den zweiten Wahlgang u.U. beeinflussen, nämlich die Stelliwahl. Beispiele: Person A kandidiert nur als Stelli, wenn Person B (zuvor) als VP gewählt wird. Person B kandidiert nicht als Stelli – sofern sie (zuvor) als VP gewählt wurde. Beides kann also Einfluss haben auf Kandidatur und Stimmenverteilung – also auf Ergebnisse und Reihung der Stelliwahl.

Beste Grüße
Heidi Stuffer
albarracin_01
Beiträge: 572
Registriert: Dienstag 25. Juni 2013, 10:43

Re: Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel

Beitrag von albarracin_01 »

Hallo Schmeixfliege,

die Fachkommentierung ist zu beiden Wahlen beileibe nicht so eindeutig.

Ob die Verwendung des Wortes "eines" in § 9 Abs. 2 Satz 1 SchwbVWO zwingend nur als Zahlwort zu verstehen ist, ist leider semantisch nicht eindeutig.
Deswegen wird die Zulässigkeit von zwei Stimmzetteln beim förmlichen Wahlverfahren zB auch von Sachadae in LPK-SGB IX, § 9 SchwbVWO Rn 13 befürwortet.
Aus Sicht der Praktikabilität ist jedenfalls die Verwendung von zwei Stimmzetteln im Sinne einer weniger fehlerträchtigen Auszählung vorzuziehen.

Derselbe Sachadae (a.a.O, § 20 SchwbVWO Rn 68) hält aber auch beim vereinfachten Verfahren eine gleichzeitige Durchführung beider Wahlgänge für zulässig. Es lässt sich aus meiner Sicht nicht wirklich begründen, warum eine Doppelkandidatur einen unterschiedlichen Ablauf der Wahlgänge begründen soll.

Der Verordnungsgeber hat hier schlicht und ergreifend in den Formulierungen schlampig gearbeitet und aus den Begründungen lässt sich leider nicht herauslesen, was er nun eigentlich wollte.
&Tschüß
Wolfgang
Heidi Stuffer
Beiträge: 118
Registriert: Dienstag 5. September 2017, 12:26

Re: Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel

Beitrag von Heidi Stuffer »

albarracin hat geschrieben:Deswegen wird die Zulässigkeit von zwei Stimmzetteln beim förmlichen Wahlverfahren zB auch von Sachadae in LPK-SGB IX, § 9 SchwbVWO Rn 13 befürwortet. Aus Sicht der Praktikabilität ist jedenfalls die Verwendung von zwei Stimmzetteln im Sinne einer weniger fehlerträchtigen Auszählung vorzuziehen.
Hallo albarracin,

gemeint hier offenbar richtig Sachadae in LPK-SGB IX, § 9 SchwbVWO Rn. 12 statt Rn. 13. Hohmann geht hingegen in Wiegand/Hohmann, Kommentar zur SchwbVWO, § 9 Rn. 14 und 23 sowie rechtsvergleichend in § 20 Rn. 57 davon aus, dass § 9 Abs. 2 Satz 2 SchwbVWO zwingend gebiete, dass das Wahlrecht bei förmlichen Wahlen auf einem einzigen Stimmzettel auszuüben sei, optisch getrennt nach VP und Stellvertretung. Ebenso LAG München, 25.10.2007, 4 TaBV 38/07, II 2 b bb („zwingend“); dem wohl rein akademischen Streit ausweichend nachfolgend BAG, 29.07.2009, 7 ABR 91/07 – da so oder so nicht kausal für Wahlergebnisse. So schon Cramer, SchwbG, § 9 SchwbWO, Rn. 2: „ohne dass es dazu mehrerer Stimmzettel bedarf“ auf zwei getrennten Schriftstücken vom BMAS zur alten Wahlordnung SchwbG. Der BIH-Auslegung ist daher voll zuzustimmen. Das Wort „getrennt“ in § 9 Abs. 2 Satz 2 SchwbVWO macht ohnehin nur dann Sinn bei einem Schriftstück – und wäre bei zwei Schriftstücken völlig sinnentleert und überflüssig. Denn 2 Schriftstücke sind selbstverständlich stets getrennt, sonst wären es ja keine zwei.

So auch BAG, 25.10.2017 – 7 ABR 2/16, Rn. 41:
„Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SchwbVWO sind auf dem Stimmzettel die Personen, die sich für das Amt der Vertrauensperson und als stellvertretendes Mitglied bewerben, getrennt in alphabetischer Reihenfolge …aufgeführt. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine_wesentliche Verfahrensvorschrift.“

Praktikabilität
Sollte aber ein Wahlvorstand dennoch die Gegenmeinung dazu „vorziehen“, so sollte er (mal ganz unabhängig vom wahlrechtlichen Expertenstreit) es sich zumindest genauer überlegen, ob er sich das rein praktisch antun will: Denn die BIH-Wahlformulare (wie Merkblatt und Erklärung) sind z.B. textlich exakt darauf abgestimmt, dass die „Stimmzettel“ für beide Wahlen auf einem Zettel und nicht auf zwei gedruckt sind. Das ist seit jeher tausendfach praxisbewährt – auch beim Auszählen mit vorbereiteten Strichlisten. Einfacher und schneller geht es nicht für die Praxis! „Viel Spaß“ hingegen beim individuellen akribischen Anpassen der Texte dieser BIH-Formulare für Briefwahlen (womöglich unter Zeitdruck), sofern sich wirklich jemand für diesen (aus meiner Sicht komplett überflüssigen) Mehraufwand an Zeit / Papier mit zwei statt einem Zettel entscheiden sollte. Dann könnten diese Vordrucke bekanntlich nicht einfach 1:1 übernommen werden, sondern müssten jeweils manuell angepasst werden an die zwei Schriftstücke, weil sonst ja irreführender bzw. unpräziser Text. Hätte ohnehin auch den Nachteil, dass bei diesem „Massengeschäft“ im Eifer des Gefechts etwa bei Termindruck oder sonst teils 2x der VP-Stimmzettel oder 2x der Stelli-Stimmzettel vom Wahlvorstand oder Wahlhelfern versehentlich eingetütet werden statt von jedem genau ein Exemplar beim Versenden, also weitere Fehlerquelle. Dann könnte es so richtig chaotisch werden. Diese Meinung von albarracin ist daher nicht zu empfehlen bzw. jedenfalls als weniger praxistauglich abzulehnen.

Beste Grüße
Heidi Stuffer
Zuletzt geändert von Heidi Stuffer am Dienstag 22. März 2022, 17:27, insgesamt 4-mal geändert.
Heidi Stuffer
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Gleichzeitige Stimmabgabe für zwei getrennte Wahlgänge auf einem Stimmzettel?

Beitrag von Heidi Stuffer »

albarracin hat geschrieben: Donnerstag 11. März 2021, 11:02 Derselbe Sachadae (a.a.O, § 20 SchwbVWO Rn 68) hält aber auch beim vereinfachten Verfahren eine gleichzeitige Durchführung beider Wahlgänge für zulässig. Es lässt sich aus meiner Sicht nicht wirklich begründen, warum eine Doppelkandidatur einen unterschiedlichen Ablauf der Wahlgänge begründen soll.
Das ist falsch und Denkfehler.

Das lässt sich wirklich sehr einfach begründen: Diese Begründung gibt’s bei Cramer SchwbG, 5. Aufl. 1998, SchwbWO, § 20 Rn. 5, zur Wahlversammlung, bereits seit_dem letzten Jahrhundert:

„... können die beiden Wahlgänge nicht parallel, nicht gleichzeitig ablaufen, da die Wahlberechtigten das Ergebnis der Wahl zur SBV vor der Wahl zum Stellvertreter kennen müssen.“ Dr. Horst Cramer sollte das wissen, wie die Wahlordnung gemeint ist, da Entwurf von ihm ja selbst maßgeblich stammt als langjähriger Ministerialrat im damaligen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bis 2003. So und nicht anders sehen das auch Adlhoch in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, § 94 Rn. 96, und andere Kommentare; a.A. wohl Hohmann in Wiegand/Hohmann, SchwbVWO, § 20 Rn. 33/47/57/58 unter Verweis auf den krassen verwaltungsgerichtlichen Fehlbeschluss des OVG NRW, 27.09.2000, 1 A 1541/99.PVB, in mehreren Punkten (z.B. vereinfachte Wahl trotz der z.T. „nicht unerheblichen Entfernung“; fehlende Wahlumschläge angeblich belanglos; Abstimmung auf Fensterbrett, ohne dass die Wahlleitung monierte; besonders „schräger“ Rechtsvergleich mit der „Gruppenwahl im Personalvertretungsrecht“, obwohl SBV-Wahl reine Personenwahl ist; OVG „fabulierte“ darüber, ob erst VP-Wahl und dann Stelliwahl oder umgekehrt). Das ist Justizirrtum, was auch dem BAG, 07.04.2004, 7 ABR 42/03, Rn. 16, in einem anderen Verfahren nicht geheuer war.

Es liegt auf der Hand, dass der Gewinner der VP-Wahl bei zwei getrennten Wahlgängen mit zwei körperlich getrennten Stimmzetteln nicht für die Stelliwahl kandidiert, und dies die „Reihung“ Stelliwahl ausschlaggebend beeinflussen kann. Dies besonders bei wenigen anwesenden Wahlberechtigten und engen Wahlergebnissen – im Unterschied zu nur einem Stimmzettel bei parallelen zeitgleichen Wahlen.

Das kann also doppelten und dreifachen Einfluss haben auf die Kandidaturen selbst, auf die Abstimmung der sbM und damit die Stimmenverteilung (Reihenfolge) bei der Wahl der Stellvertretung – also die Wahlergebnisse. Demnach nicht reiner Formalismus, sondern u.U. wahlentscheidend. Das kann daher nicht ins Ermessen der Wahlleitung gestellt werden entgegen Hohmann, Rn. 57 zu § 20 SchwbVWO, sowie entgegen Sachadae und albarracin.

Beste Grüße
Heidi Stuffer
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