Schwerbehindertenausweis vergessen

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magdalena.mayer
Beiträge: 88
Registriert: Dienstag 2. November 2010, 11:14

Schwerbehindertenausweis vergessen

Beitrag von magdalena.mayer »

Hallo zusammen,
eine Bewerberin weist in ihrem Bewerbungsschreiben auf ihre Schwerbehinderungseigenschaft hin. Versehentlich fügte sie aber ihren Bewerbungsunterlagen keine Kopie ihres Schwerbehindertenausweises bei. Die Bewerbung ging innerhalb der in der Stellenausschreibung angegebenen Frist bei der Behörde ein.

Die Behörde stellt sich auf den Standpunkt, dass die Bewerberin ihre Schwerbehinderung nicht ordnungsgemäß fristgerecht innerhalb der Bewerbungsfrist nachgewiesen habe. Sie beharrt darauf, dass sie nicht verpflichtet war, auf einen solchen fehlenden Nachweis hinzuweisen und diesen nachzufordern. Die Bewerberin wurde somit als nichtbehinderte Bewerberin angesehen und entsprechend behandelt bzw. abgelehnt mit der Begründung, dass es geeignetere Bewerber gegeben habe.

Hätte nicht die Behörde auf den fehlenden Nachweis kurz hinweisen müssen? Darf die Behörde eine solche Bewerbung für den öffentlichen Dienst einfach aussondern, ohne die SchwbV und ohne den Personalrat zu informieren? Und hätte die schwerbehinderte Bewerberin nicht zum Bewerbungsgespräch geladen werden müssen? Gibt es dazu Urteile?

Gruß
Magdalena Mayer
Zuletzt geändert von magdalena.mayer am Donnerstag 3. September 2015, 11:16, insgesamt 2-mal geändert.
albarracin_01
Beiträge: 572
Registriert: Dienstag 25. Juni 2013, 10:43

AW: Schwerbehindertenausweis vergessen

Beitrag von albarracin_01 »

Hallo,

auch unter Berücksichtigung der strengeren Rechtsprechung des BAG vom 18.09.2014
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cg ... n_Bewerber" onclick="window.open(this.href);return false;
sehe ich im vorliegenden Fall schon eine gewisse Böswilligkeit des AG und einen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn im Bewerbungsschreiben die Schwerbehinderung ausdrücklich erwähnt wurde und die Beilage des Nachweises vergessen wurde.

Ggfs. sollte man mal bei der SBV und/oder dem PR nachfragen, ob sie überhaupt von der Bewerbung und dem Ablehnungsgrund wußten.
&Tschüß
Wolfgang
Interessierter

AW: Schwerbehindertenausweis vergessen

Beitrag von Interessierter »

Hallo,

zeige dem AG einmal den ersten Absatz des oe BAG Urteils:

Mitteilung der Schwerbehinderung durch einen Bewerber

Ein schwerbehinderter Mensch, der bei seiner Bewerbung um eine Stelle den besonderen Schutz und die Förderung nach dem SGB IX in Anspruch nehmen will, muss die Eigenschaft, schwerbehindert zu sein, grundsätzlich im Bewerbungsschreiben mitteilen. Eine solche Mitteilung muss bei jeder Bewerbung erfolgen. Auf Erklärungen bei früheren Bewerbungen kommt es nicht an.

Also nicht Kopie des Ausweises beifügen.

Weiter, offensichtlich Schwerbehinderte (zB Blinde und Rollstuhlfahrer) benötigen um ihre Rechte als Schwerbehinderte wahrzunehmen noch nicht einmal eines Schwb-Ausweises.

Hier sollten BR/PR und SBV sofern der AG den § 81 Abs. 1 nicht vollumfänglich beachtet hat getrennte Beschlussverfahren gegen den AG einleiten. Der Bewerber sollte wegen Verstoß gegen das AGG mit gutem Fachanwalt für das SGB IX und AGG klagen.
albin.göbel
Beiträge: 701
Registriert: Mittwoch 10. November 2010, 14:55

AW: Schwerbehindertenausweis vergessen

Beitrag von albin.göbel »

magdalena.meyer hat geschrieben:Hätte nicht die Behörde auf den fehlenden Nachweis kurz hinweisen müssen?
Hallo Frau Mayer

der von albarracin erwähnte Rechtsbegriff von "Treu und Glauben", der das Verhalten eines "redlich und anständig handelnden Menschen" bezeichnet, erscheint in diesem Zusammenhang vollkommen angebracht. Die in § 242 BGB niedergelegte Generalklausel von "Treu und Glauben" prägt die gesamte Rechtsordnung und gilt auch im öffentlichen Recht. Dieses uralte Gebot geht auf die Römer zurück und hatte schon damals etwas mit "Lauterkeit" zu tun.

Ein unlauterer Wettbewerb bei der "vorvertraglichen" Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses, also Verfahrens-Diskriminierung unter Ausschaltung behördlicher Interessenvertretungen bzw. gar rechtsmissbräuchliche Vereitelung gesetzlich verbürgter Nachteilsausgleiche, ist verboten, worauf Bernhard Hackenberger zu Recht u.a. hingewiesen hat. Dieser zivilrechtliche BGB-Grundsatz von "Treu und Glauben" durchzieht das gesamte öffentliche Recht einschließlich Schwerbehindertenrecht und ist natürlich auch vom Behördenpersonal zu beachten nach ständiger BVerwG-Rechtsprechung und herrschender Meinung.

Personalrat und SBV ist hier zu raten, dieses Thema für die Tagesordnung des nächsten Monatsgesprächs vorzumerken, da es zu deren gemeinsamen Pflichtaufgaben nach Personal- und Schwerbehindertenrecht gehört, darüber zu "wachen", dass den zugunsten sbM geltenden Gesetzen in der Dienststelle konsequent Geltung verschafft wird bzw. diese künftig verwirklicht werden.

Verbandsklage
Sollte sich die schwerbehinderte Bewerberin zu einer AGG-Klage entschließen, weil sie sich in ihren Verfahrensrechten benachteiligt bzw. diskriminiert fühlt wegen Behinderung, gilt folgende nicht allgemein bekannte verfahrensmäßige Besonderheit zum Verbandsklagerecht:

"Nach § 63 SGB IX können dann, wenn behinderte Menschen in ihren Rechten aus dem SGB IX verletzt werden, an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Behindertenverbände klagen."
(Düwell, jurisPR-ArbR 28/2006 Anm. 7)


Viele Grüße
Albin Göbel
magdalena.mayer
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Registriert: Dienstag 2. November 2010, 11:14

AW: Schwerbehindertenausweis vergessen

Beitrag von magdalena.mayer »

Hallo,
habe zum Klagerecht zwei Nachfragen: Können da nur Behindertenverbände klagen nach § 63 SGB IX oder auch andere Verbände nach dieser Vorschrift klagen wie zum Beispiel Gewerkschaften? Und gilt das nur, wenn Rechte aus dem SGB IX verletzt werden oder auch bei einer Entschädigung nach dem § 15 AGG wegen Behinderung wegen der Verweisung im SGB IX auf das AGG?
http://www.gesetze-im-internet.de/agg/__15.html" onclick="window.open(this.href);return false;

Gruß
Magdalena Mayer
albin.göbel
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Registriert: Mittwoch 10. November 2010, 14:55

IGM als Behindertenverband anerkannt

Beitrag von albin.göbel »

Hallo Frau Mayer,

JA, den klageberechtigten Verbänden im Sinne des § 63 SGB IX, die nach ihrer Satzung behinderte Menschen vertreten, können ggf. Gewerkschaften gehören (Düwell in LPK-SGB IX, § 95 Rn. 14; ebenso Hlava in Forum A, A23-2012 in reha-recht.de).

IG Metall bekommt Verbandsklagerecht
Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine Ge­werk­schaft in ihrer Satzung entsprechende Aufgaben und Ziele verankert. Die IG Metall hat diese Woche auf dem Ge­werk­schafts­tag in Frankfurt a.Main einstimmig ihre Satzung geändert. Künftig heißt es dort: Zu den Aufgaben und Zielen der IG Metall gehört auch die »Vertretung und Förderung der gleichberechtigten Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsleben«.

Angestoßen hat diese Satzungsänderung Alfons Adam, Gesamt- und Konzern-SBV bei Daimler - für andere Ge­werkschaften zur Nachahmung empfohlen. Für diese er­folg­rei­che Initiative gebührt Hrn. Alfons Adam Dank und Anerkennung!

Diese Satzungsergänzung hat auch rechtliche Folgen: Sie schafft die Voraussetzungen, dass die IG Metall als Interessenvertreter für die Belange behinderter Menschen anerkannt werden kann und entsprechende Rechte erlangt. Eines dieser Rechte ist das Verbandsklagerecht. Die IGM kann also künftig klagen, wenn Behinderte diskriminiert werden. Auch kann sie künftig an die Unternehmen herantreten und den Abschluss von Zielvereinbarungen über die Herstellung von Barrierefreiheit verlangen.
www.reha-recht.de

Verbandsklage
Zu weiteren anerkannten Verbänden vgl. BMAS online

Viele Grüße
Albin Göbel
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